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Gurken gegen Rechts

Bundesverfassungsgericht genehmigt Neonazi-Kundgebung in der City. Polizei-Großaufgebot hält Protestler fern  ■ Von Andreas Speit/Peter Müller

Die Hamburger Neonazis Christan Worch und Thomas „Steiner“ Wulff konnten sich gestern auf dem Axel-Springer-Platz in der Innenstadt als Opfer der Medien produzieren. Nachdem die Polizei die rechten Aufmärsche am Samstag und Sonntag wegen der zeitlichen Nähe zum Todestag von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß als „Tarnveranstaltung“ verboten hatte und die Verwaltungsgerichte die Anordnung bestätigten, hob das Bundesverfassungsgericht (BVG) Freitagnacht das Verbot auf und genehmigte eine „stationäre Kundgebung unter Auflagen“. Unter der höchstrichterlichen Maßgabe, Heß nicht zu erwähnen, konnten somit 100 militante Neonazis mit Sprechchören „Die Presse lügt“ vor dem Springer-Hochhaus aufmarschieren.

Das Motto der Kundgebung war die alte Losung des „Sozialistischen Deutschen Studentenbundes“ (SDS): „Gegen die Lügen und Hetze der Bildzeitung – Enteignet Springer“. Worch und Wulff, die den Aufmarsch angemeldet hatten, fühlen sich von Bild diffamiert. Das Blatt hatte die beiden nach dem Bombenanschlag von Düsseldorf erstmals auch als „Drahtzieher“ und Chefideologen des deutschen Neonazi-Netzwerks geoutet. „Gerade der Kamerad Wulff und ich haben immer wieder unsere Stimme gegen politisch motivierte Gewalt erhoben“, empörte sich ges-tern Biedermann Worch. Nach der „Kampfhundhysterie“, assistierte „Kamerad Wulff“, sei nun eine „Anti-Nazikampagne“ in den Medien angelaufen.

In seiner Rede betätigte sich Worch als Geschichtsrevisionist und stellte sich in eine Reihe mit dem SDS-Chef Rudi Dutschke – den die Neonazis heute gern als „Nationalrevolutionär“ vereinnahmen. Wie Dutschke, so Worch, sei auch er ein Opfer der Springer-Presse.

Gleich zu Beginn des Aufmarsches war es zu Rangeleien zwischen Nazi-„Ordnern“ und Reportern gekommen. Worch drohte an, als Versammlungsleiter die Journalisten als „Störer“ des Platzes zu verweisen, wenn diese keinen Abstand zu den Rednern hielten. Die Polizei griff allerdings zugunsten der Medien ein. Für Innensenator Harmuth Wrocklage hatte Worch nach dem BVG-Sieg nur Häme parat. „Man muss sich fragen, ob die Innenbehörde noch auf dem Boden der Verfassung steht.“

Der Naziaufmarsch wurde von massiven Prostesten an den zahlreichen Polizeisperren begleitet. Immer wieder hallte es: „Nazis raus!“ Über 2000 PolizistInnen hatten die Region um das Springer-Haus mit Polizeiketten und -sperren hermetisch abgeriegelt – unterstützt von Wasserwerfern und Panzerwagen. In den Großen Bleichen setzte die Polizei an einer Sperrung auch Schlagstöcke ein, weil zuvor Gurken auf Beamte geworfen worden waren. Auf die Frage der taz, ob ein solches Vorgehen „verhältnismäßig“ sei, meinte Polizeipräsipäsident Justus Woydt lapidar: „Kommt auf die Größe der Gurke an.“ Dennoch gelang es Einzelnen, Sperren zu überwinden und bis zur Kundgebung vorzudringen. So auch dem GAL-Abgeordneten Mahmut Erdem, der Worch mit einer braunen Torte bewarf.

Bereits in der Mittagszeit hatten sich 800 Demonstranten zur Protestkungebung der Regenbogen-Gruppe eingefunden. Dabei nannte es Springer-Betriebsrat Ernst Heilmann „einen Skandal, dass Leute, die für Mord und Totschlag verantwortlich sind“, den höchstrichterlichen Segen erhalten hätten.

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