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Einverstanden mit Hitler

■ Nationalismus als Frauensache: Die Publizistin Hannelore Cyrus hat eine Biographie über Mathilde Plate geschrieben. Die war langjährige Direktorin des Bremer Mädchengymnasiums Kleine Helle und stramm rechts

Seltsam. Ein Buch über Mathilde Plate ist erschienen.

Es ist eine Biographie über eine Frau, die von 1919 bis 1949 dreißig Jahre lang das erste staatliche Mädchengymnasium in Bremen, die Kleine Helle, leitete. Dabei erlebte sie das Ende des Ersten Weltkriegs, die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus. Was bedeutet all das für die 1878 geborene Schulleiterin, die ihrer Erziehung nach eine Anhängerin der Monarchie und der evangelischen Kirche war und – anders ausgedrückt – von den Werten der Sitte, der Religion, des Vaterlandes, der Moral lebte? Von der Autorin dieser Biographie ist zumindest eine äußerst kritische Durchforstung dieses Lebenslaufs zu erwarten.

Denn die Historikerin Hannelore Cyrus ist in anderen Publikationen als eher linke, feministisch orientierte Publizistin ausgewiesen. Was treibt also diese Autorin, sich derart intensiv mit einer Frau auseinanderzusetzen, deren Denken spätestens heute überhaupt keinen Sinn mehr macht, wenn nicht ein Auftrag?

Mit einem Auftrag fing es auch an: Hannelore Cyrus wurde 1991 gebeten, einen biographischen Beitrag über Mathilde Plate in dem Buch „Frauen ins Parlament“ zu schreiben. Im Vorwort der jetzt vorgelegten Biographie bekennt Cyrus: „Ist es möglich, fragte ich mich, einer Fau gerecht zu werden, bei der es mir nicht leicht fallen dürfte, ihre Forderungen, ihre Argumentationen, ihre Werteorientierungen, ihr Weltbild, ihre Zielsetzung, ihr Handeln und ihre Haltung zu verstehen?“

Doch Cyrus gelingt es dann, aus dieser verständlichen Distanz ein Porträt zu schreiben, das eben nicht den Stab bricht über etwas, was wir vielleicht gar nicht richtig beurteilen können – nach dem Motto Golo Manns, „keine billige Überlegenheit über die Toten“ zu hegen. Indem die Biographin ständig ihre Skepsis aufrecht erhält, bringt sie uns auch Mathilde Plate nahe, die eine der bedeutendsten Bremer Frauen im 20. Jahrhundert war.

Mathilde Plate ist 1878 in bäuerlicher Familie geboren, der Vater war Lehrer in Walle, wo die Familie im Schulhaus lebte, bis sie an die Chemnitzer Straße in Findorff zog. Sie wurde erzogen in „Nationalbewusstsein, Kaiserteue, wehrhafter Heimatverbundenheit, Bescheidenheit, Familiensinn“ und religiöser Haltung. Ihre wissenschaftliche Neugier trieb Mathilde Plate weit über das reine Lehrerstudium hinaus. Sie vervollständigte ihre Studien in Göttingen, Freiburg und Paris – immerhin in einer Zeit, in der Mädchen eigentlich zum Studium noch nicht zugelassen waren. So wurde ihr oberstes und einziges Ziel die hochqualifizierte Mädchenbildung jenseits hauswirtschaftlicher Unterweisung. Hier war ihr Vorbild die Reformpädagogin Betty Gleim (1781-1827).

In der Zeit des Ersten Weltkrieges schwärmte Plate für den „Dichterleutnant“ Walter Flex, dessen Texte über den pflichtbewussten, mannhaften Todeskampf es ihr angetan hatten. 1919 wurde sie mit der Leitung des staatlichen Lyzeums „Kleine Helle“ beauftragt und damit die ranghöchste Staatsbeamtin in Bremen. Ihre Tätigkeit als Abgeordnete der Deutschnationalen Volkspartei in der Bremischen Bürgerschaft wertet Cyrus als unbewusste Vorbereitung der späteren Machtübernahme durch die Nazis. Doch Cyrus schafft auch immer wieder Dokumente herbei, die zwar die unveränderlich konservative Haltung Plates belegen, die aber auch zeigen, dass für Plate Toleranz noch über dogmatischen Dingen stand.

Diese Toleranz übte sie wohl immer: „Mathilde Plate war traditionsbewusst und konservativ, doch ohne jegliche dogmatische Verengung und Versteifung“, schreibt Cyrus. Bei allem Verständnis für die Einfühlungsgabe und die Sympathie der Autorin für ihre Heldin: Über so manches ist man beim Lesen dennoch fassungslos und nicht so leicht bereit, es nur im historischen Kontext des Damals zu sehen. So Mathilde Plates Verteidigung Wilhelms I. in der Bürgerschaftssitzung von 1920, als ihre Behauptung, der Kaiser habe in „uneigennütziger, selbstloser Weise ...“, durch den Zwischenruf ergänzt wurde: „... auf sein Volk schießen ließ“. Plate antwortete: „Jawohl, zu rechter Zeit von den Waffen Gebrauch gemacht und ein Deutschland, ein einiges und mächtiges Deutschland zu schaffen versucht ...“.

In der Nazizeit gelang es Plate ihrer Biographin zufolge durch Diplomatie, Schweigen und geschicktes Taktieren, Übergriffe auf ihre Schule weitgehend zu verhindern. Ihr Exemplar von Hitlers „Mein Kampf“ zeigt durch Unterstreichungen grundsätzliches Einverständnis mit vielen Thesen des späteren Diktators. Im täglichen Leben aber blieb sie laut Cyrus wohl immer gerecht, und vor allem das durch und durch „Ordinäre“ der Nazis und deren Idee der Frauenerziehung gingen ihr auf die Nerven.

Es bleibt aber die Frage, warum einer derartig intelligenten Frau vieles nicht bewusst war. Oder, wie Cyrus mehrfach schreibt: „Es sieht vielmehr so aus, als hätte sie nicht erkannt ...“ Und es kam offensichtlich nach 1945 nicht zu einer ihre Einstellung korrigierenden Reflexion. Die Erinnerungen anderer an sie sind voller Bewunderung, so die von Plates Schülerin Erna Haverkamp, die 1991 erzählt: „Sie war sehr unabhängig und setzte sich über Verbote hinweg.“

Es macht die Spannung dieses Buches aus, dass Cyrus bei aller Einfühlungsgabe ihre eigene Haltung immer dagegensetzt: Das geht allerdings auch gar nicht anders. Das Buch liefert eine Menge Informationen über den Alltag zwischen Kaiserreich, Erstem Weltkrieg, Weimarer Republik und Drittem Reich und der neuen Bundesrepublik – Plate starb 1963.

Mathilde Plate hat ihre Frauenpädagogik – deren oberstes Prinzip die wissenschaftliche Qualifikation war – mit Leidenschaft und Geschick durch diese Zeiten geführt. Dass einige der Ideale von Mathilde Plate, die wegen ihrer Haltung auch „Fürstin“ genannt wurde, heute nicht nur veraltet, sondern vollkommen sinnlos geworden sind, hindert nicht daran, sich einmal mit Gewinn auf eine derartige Biographie einzulassen. Die Tatsache, dass Mathilde Plate im Dritten Reich ebenso geschwiegen hat wie hinterher, bleibt allerdings eine offene Frage. Denn durch eine ganze Reihe von Fällen wissen wir heute, dass viel mehr Widerstand möglich gewesen wäre. Doch Hannelore Cyrus stellt sich dieser Frage nicht.

Ute Schalz-Laurenze

Hannelore Cyrus, „,Fürstin' Mathilde Plate. Ein (un)gewöhnliches Frauenleben vom deutschen Kaiserreich bis zur Bundesrepublik Deutschland.“ Das Buch ist im Hauschild-Verlag, Bremen, erschienen und kostet 36 Mark.

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