: Hörschäden für den Wohlstand
Mit dem Ausbau des Frankfurter Flughafens im Nordwesten will die hessische CDU-FDP-Koalition das Wachstum der Region sichern
aus FrankfurtKLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
Mit Fluglärm „abgekocht“ habe der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) die gesamte Region rund um den Flughafen. So der Kommentar der Bündnisgrünen vorgestern im hessischen Landtag. Dort hatte sich die Landesregierung überraschend früh für die Nord-Nordwest-Variante zum Ausbau des Frankfurter Flughafens entschieden: für den Bau also einer neuen Landebahn bei Kelsterbach im Landkreis Groß-Gerau. Eindeutig dafür votierten am Samstag Landtagsfraktion und Landesvorstand der hessischen CDU; der FDP-Landesvorstand entschied sich ebenfalls dafür, wenn auch mit 9:8 Stimmen deutlich knapper.
Nun ist also die Katze aus dem Sack. Und der Jammer groß bei den Menschen in den von dieser Variante besonders betroffenen Gemeinden Hochheim, Flörsheim, Eddersheim, Raunheim und Kelsterbach im Südwesten Frankfurts. Flörsheim-Ost etwa werden die Maschinen in nur 240 Meter Höhe überfliegen. Da läßt sich Bürgermeister Dieter Wolf, wenn auch Parteifreund Kochs, nicht lange bitten: Auf einer spontanen Demonstration gleich nach dem Beschluss kündigte der CDUler an, seine Stadt werde „durch alle Instanzen“ gegen den Ausbau klagen. Der Politiker will auch nicht daran glauben, dass durch diese Landebahn, wie Koch behauptet, „ein Potenzial von bis zu 100.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen“ geschaffen werde.
Ebenfalls betrogen fühlen sich die meisten Bürgermeister und Mitglieder der rund 50 Bürgerinitiativen im Flughafenumland. Mit dem Bau der Startbahn West seien alle weiteren Expansionspläne der Flughafen AG (FAG) „vom Tisch“, hatte es 1984 bei der Eröffnung dieser hart umkämpften Piste im Mönchsbruchwald geheißen.
Der passionierte Ausbaugegner und Filmemacher Thomas Frickel jedenfalls, Regisseur des legendären Widerstandsfilms „Startbahn West – eine Region wehrt sich!“, begann am Samstag im Landtag schon einmal mit neuen Dreharbeiten: für einen Dokumentarfilm über den neuen Widerstand.
Seine Hand ins Feuer legen für die „100.000 Arbeitsplätze“ wollte Koch zwar auch nicht, als er am Samstag vor die Presse trat. Aber während bei Opel und bei den Banken permanent Arbeitsplätze abgebaut würden, sei der Flughafen der Wachstumsmotor der Region, erklärte der Ministerpräsident. Und bleiben könne er das nur bei einem Ausbau.
Roland Koch warb aber auch aus „ökologischen Gründen“ für die Variante Nord-Nordwest. Rund 200.000 Menschen weniger als beim Bau einer Südbahn (450.000) müssten nach dem Bau der nordwestlichen Landebahn zwischen Kelsterbach und der Gemarkungsgrenze von Raunheim mehr Fluglärm ertragen. Und es müsse weniger Wald geopfert werden; „nur“ 216 Hektar statt 400 bei der Variante Süd.
Aber es sei ökologisch wertvoller „Bannwald“, der jetzt dem „Ausbauwahn“ zum Opfer falle, merkte die grüne Abgeordnete Ursula Hammann an. Und was der Ministerpräsident mit seinem Hinweis darauf, dass einmal gelandete Flugzeuge ja auch wieder starten müssten, nur angedeutet hatte, konkretisierten gestern die Grünen in Mörfelden-Walldorf: „40 landende Flugzeuge mehr pro Stunde heißt konkret 30 Abflüge mehr pro Stunde über die 18 West“; zehn starten dann zusätzlich von den bestehenden Parallelbahnen. Damit würden auch die Anwohner in der größer werdenden Fluglärmfalle sitzen, die nicht direkt vom Bau der 2,8 Kilometer langen Landepiste betroffen seien.
Selbst Koch musste am Samstag einräumen, „dass die Belastungen überall erheblich sind“. Was bei den Bürgerinitiativen die Hoffnung nährt, dass auch diejenigen, die von der alternativen Südvariante stärker betroffen wären als von der nun beschlossenen Nord-Landebahn, dem Widerstand treu bleiben. „Wir lassen uns nicht spalten“, lautet seit dem Wochenende ihr Motto.
Koch weiß, dass der Widerstand wächst. Auch die Kommunen stehen – mit Ausnahme von Frankfurt – alle zusammen: gegen alle Ausbauvarianten. Klagen sind überall in Vorbereitung.
In Frankfurt hatten sich CDU und SPD für den Bau der Südbahn ausgesprochen. Mit der Realisierung der anderen Variante wird die „Lärmkeule“ (Grüne) jetzt auch über dem Südosten der Mainmetropole geschwungen; und OB Petra Roth (CDU) ist stocksauer auf Roland Koch (CDU). Um dem Widerstand in der Region die Spitze zu nehmen, versprach Koch ein Nachtflugverbot – von 22 Uhr bis 6 Uhr früh. Dass er diese Zusage einhalten kann, wird von den Ausbaugegnern bezweifelt. Es ist kein Geheimnis, dass die FAG wegen der Konkurrenz ein Nachtflugverbot generell ablehnt.
Zum „Spaltpilz“ für die Widerstandsbewegung entwickeln könnte sich auch das Angebot von Koch an alle Haus- und Grundbesitzer in den am meisten von zusätzlichem Fluglärm bedrohten Kommunen. Die FAG würde ihnen ihr „klein Häuschen“ abkaufen, kündigte Koch an; zum Zeitwert vom vergangenen Freitag – also dem Tag vor der Entscheidung für die Variante Nord-Nordwest. Und Koch, der dem Aufsichtsrat der FAG vorsteht, regte die Gründung einer Stiftung „Region Rhein-Main“ zur Förderung sozialer, ökologischer und kultureller Projekte an. Der Stiftung die Kasse füllen sollen 50 Prozent der Gewinne aus der Beteiligung des Landes an der FAG. Koch forderte auch die beiden anderen Anteilseigner, den Bund und die Stadt Frankfurt, zum Mitmachen auf.
Nicht reden wollte Koch über die Kosten. Fest aber steht: Die Variante Nord-Nordwest ist die teuerste. Autobahn und Bahntrassen müssen untertunnelt oder überbrückt werden; und die Flugzeuge, die dort einmal landen, werden bis zum Flughafen einen weiten Weg rollen müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen