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Gaddafis Engagement auf Jolo

Libyen vermittelt in der philippinischen Geiselkrise. Ein Erfolg wäre ein diplomatischer Coup für das nordafrikanische Land, das sieben Jahre lang mit UNO-Sanktionen belegt war. Doch inzwischen hat der Revolutionsführer jede Menge neue Freunde

von DOMINIC JOHNSON

25 Millionen Dollar – über 50 Millionen Mark – ist der Regierung Libyens angeblich die Freilassung der Geiseln auf der philippinischen Insel Jolo wert. Trotz wiederholter offizieller Dementis taucht diese Summe immer wieder auf, seit am 6. August in einer libanesischen Zeitung zum ersten Mal davon die Rede war. Mit dem Geld soll die von einem Sohn des libyschen Führers Muammar al-Gaddafi geleitete „Internationale Gaddafi-Wohlfahrtsstiftung“ nach Angaben aus libyschen Botschaftskreisen in der philippinischen Hauptstadt Manila „Projekte wie Kliniken, Schulen und islamische Zentren“ in den von der Geiselnehmertruppe Abu Sayyaf kontrollierten Gebieten errichten.

Trotz des Scheiterns der für vergangenes Wochenende erwarteten Freilassung aller Geiseln erklärte sich die Gaddafi-Stiftung am Sonntag grundsätzlich bereit, ihre Vermittlungsbemühungen fortzusetzen. Die Regierungen der Länder, die Bürger unter den 24 Geiseln haben, hätten die Stiftung darum gebeten. Dem habe man aus humanitären Gründen zugestimmt.

Die Abu Sayyaf gelten als Freund Gaddafis. 1995 rief die Organisation bereits dazu auf, die damaligen Sanktionen gegen Libyen zu beenden. Die Abu Sayyaf gingen 1994 als radikale Abspaltung aus der 1969 gegründeten südphilippinischen Rebellenbewegung „Moro National Liberation Front“ (MNLF) hervor, deren erster Führer, Nur Misuari, Mitte der 70er-Jahre als Exilant in Libyen lebte. Libyens Beziehungen zu den philippinischen Rebellen kühlten später ab, aber viele philippinische Muslime erhielten Stipendien zum Studium in Libyen.

Libyens Vermittlungsversuche im philippinischen Geiseldrama datieren bereits vom Mai, als der ehemalige libysche Botschafter auf den Philippinen, Rajab Azzarouk, zum ersten Mal in den Inselstaat reise. Damals berichtete Die Welt, die Reise sei auf Ersuchen des ehemaligen deutschen Geheimdienstkoordinators Bernd Schmidbauer erfolgt, dem Gaddafi versprochen habe, seine „Wohlfahrtsstiftung“ einzuschalten. Ähnlich unbestätigt wie diese Meldung bleibt wohl auch der Bericht der gewöhnlich gut informierten französischen Wochenzeitung Le Canard Enchainé vom vergangenen Mittwoch, wonach der letzte Geiseldeal auf Wunsch Frankreichs zustande gekommen ist. Frankreich habe Libyen gebeten, an seiner Stelle Lösegeld für die Geiseln zu zahlen, hieß es. „Im Gegenzug hat sich Paris engagiert, Gaddafis Libyen bei der Wiedereinführung in das diplomatische Spiel zu helfen.“

Natürlich wäre es für Gaddafi ein diplomatischer Coup, wenn Minister aus aller Welt in Tripolis unter dem wohlwollenden Lächeln des libyschen Führers Wiedersehen mit den freigelassenen Geiseln feiern würden. Allerdings ist Libyens „Wiedereinführung in das diplomatische Spiel“ der Welt bereits in vollem Gange. Italiens Außenminister Lamberto Dini ist dieses Jahr mehrmals in Libyen gewesen, ebenso Staatssekretäre aus Frankreich und Großbritannien und auch Österreichs Jörg Haider. Russlands Präsident Wladimir Putin nahm Anfang August eine Einladung an, Libyen zu besuchen.

1992 war Libyen weltweit isoliert worden, als die UNO gegen das Land Sanktionen verhängte wegen dessen angeblicher Täterschaft beim Anschlag auf ein Linienflugzeug über Lockerbie, bei dem 1988 270 Menschen starben. Erst als Libyen im April 1999 einwilligte, die der Täterschaft Beschuldigten an ein in den Niederlanden tagendes schottisches Gericht auszuliefern, hob die UNO ihre Sanktionen wieder auf. In der Zwischenzeit jedoch hatte sich Gaddafi jede Menge neue Freunde gemacht. Mit dem Westen zerstritten und von den arabischen Kollegen enttäuscht, hatte er sich dem Kontinent zugewandt, auf dem Libyen liegt.

Gaddafi unterstützt zahlreiche afrikanische Länder finanziell und spendet großzügig für Entwicklungsprojekte, von Straßen über Koranschulen bis Universitäten. Libysche Staatsfirmen spielen in den ärmeren Ländern West- und Zentralafrikas eine immer wichtigere Rolle, vor allem im Bankenwesen. Aber die libysche Rolle ist nicht nur konstruktiv. Ohne libysche Hilfe könnte Simbabwe seine Militärintervention im Kongo nicht finanzieren, und auch Kongos Präsident Laurent Kabila wäre längt bankrott. Nach US-amerikanischer Überzeugung organisiert Gaddafi außerdem über seinen Verbündeten Blaise Compaoré in Burkina Faso und dessen Unterstützung für die Rebellen in Sierra Leone die zielgerichtete Unterwanderung Westafrikas. Libyen ist zur afrikanischen Großmacht geworden.

Im September 1999 ließ Gaddafi auf einem außerordentlichen Gipfel der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) im libyschen Sirte gar die „Vereinigten Staaten von Afrika“ ausrufen, die er natürlich selbst führen will. Allerdings versagte der nächste ordentliche OAU-Gipfel Anfang Juli 2000 ihm dafür die Zustimmung.

Während Gaddafi davon träumt, für sein Land eine ähnliche Führungsrolle in Afrikas Nordhälfte zu erobern, wie sie Südafrika in der Südhälfte innehat, blickt er längst über den Kontinent hinaus. Libyen gilt als Geheimtipp der internationalen Ölindustrie. Eine britische Ölconsultingfirma nannte das Land kürzlich „die Nummer eins für neue Bohrungen, Entwicklungen und Produktion im Jahre 2000“. Schließlich gilt es, jahrelange Investitionsrückstände aufzuholen. Die Ölkonzerne Frankreichs, Italiens und Österreichs sind bereits in Libyen präsent. Unternehmer aus asiatischen Ländern dominieren die Erneuerung der libyschen Infrastruktur. Unter deutschen Afrika-Investoren gilt Libyen als derart heißer Tipp, dass die Lufthansa im April beschloss, zwei ihrer fünf wöchentlichen Marokko-Flüge nach Libyen umzuleiten.

Doch erst wenn auch aus den USA grünes Licht kommt, wird Gaddafis Staat wieder voll hoffähig. Noch steht Libyen auf der US-Liste von „Schurkenstaaten“, die mittlerweile „Besorgnis erregende Staaten“ heißen. Doch die US-Ölindustrie betreibt kräftig Lobbyarbeit, das zu ändern. Es fehlte nur noch eine Rührstunde auf dem Flughafen der libyschen Hauptstadt, und alle vergangenen Animositäten könnten endlich in Vergessenheit geraten.

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