: Im globalen Labyrinth
Am Ende des 20. Jahrhunderts verschmelzen die politischen und wirtschaftlichen Verwaltungszentren zur menschenleeren Einheitskulisse: Die Galerie im Körnerpark zeigt Dieter Matthes’ Städtefotos aus den Neunzigern
Der nur vom Rahmen begrenzte Blick durch das gläserne Hochhausfenster fällt auf Manhattan. Dem Fotografen Dieter Matthes dient New York als Synonym für die Großstadt des zwanzigsten Jahrhunderts schlechthin. Bis an das Ende des Horizonts zieht sich das Schlachtfeld aus Stein, Stahl, Glas und Beton – anfangs noch geprägt von dicht an dicht aufschießenden Wolkenkratzern, um dann allmählich in urban parzellierter Wüstenei auszulaufen.
Der Stadt, die noch immer als Blaupause aller modernen Metropolen dient, stellt Matthes Lichtbilder aus Brasilia, Berlin, Chicago, Dallas, Houston, Osaka, Singapur und Tokio zur Seite. Die Fotos wurden in den Neunzigerjahren aufgenommen: breitformatige Bilder in gestochenem Schwarzweiß von Fassaden, Mauern, Treppen, Brücken, Straßen. Es sind Szenerien fast ohne Menschen, sogar ohne Autos – Leerstädte, Nekropolen.
Der 1952 in Berlin geborene Matthes ist studierter Arzt, als Fotograf arbeitet er autodidaktisch. Seine Bilder sind keine Porträts von urbanen Hochburgen, selbst das städtische Leben, Wohngegenden oder die Orte für Konsum und Freizeit interessieren ihn nicht. Seine Sicht von „Metropolis“ – so der Titel der Ausstellung in der Neuköllner Galerie am Körnerpark – entsteht vor allem in den politischen und wirtschaftlichen Verwaltungszentren.
Hier bilden in der Sonne blitzende Bürohochhäuser enge Schluchten und allseits dominieren glatte, cleane Wände und gerasterte Flächen. Sie schneiden scharf in den Himmel oder drücken ihn weg. Sie ergeben ein verschachteltes Labyrinth aus geometrischen Mustern – kolossale Kulissen, in denen alles Lebendige wie ein Fremdkörper wirkt. In allen Städten ist das gleich, Unterschiede fehlen – Globalisierung pur. Wo man Leben buchstabieren will, bleibt man an Straßenschildern hängen: „Do not enter“.
Matthes benutzt Diafilme mit hoher Bildschärfe, extreme Weitwinkel, und er ist am Wochenende unterwegs, wenn nur wenige Personen sich in öffentlichen Räumen wie diesen aufhalten: vereinzelte Sonntagsgänger, ein paar Wachpolizisten; manchmal sind die Straßen und Wege auch gänzlich entvölkert, selbst der Verkehr fließt dann nur dünn oder verflüchtigt sich an den Bildrändern.
Die Zeit wirkt wie angehalten, aufgerieben vom harten Kontrast zwischen Licht und Schatten. Die Stadt als Ansammlung von Menschenmassen und Automobilen, als Unruheherd und Moloch, ist hier zur Ruhe gekommen. Sie gleicht einer starren Hülle, einem leeren Behälter, einem verlassenen architektonischen Gebirge.
Matthes’ Aufnahmen sind bewusst ausgewählte panoramaartige Ausschnitte. Sie verdeutlichen, dass der gesellschaftliche Organismus Stadt unübersichtlich und austauschbar geworden ist. Dass er bizarre und gigantische Ausmaße angenommen hat, die seine Schöpfer fast überwältigen. Menschen bewegen sich zwischen mächtigen Baumassen, allein und verloren in kalter Pracht.
Melancholie herrscht vor – düsterer, härter noch in den ausgestellten Vergrößerungen als in den Abbildungen im begleitenden Katalog. In der Kälte der Bilder liegt dennoch eine meditative Stimmung, die weniger bedrängt als stimuliert.MICHAEL NUNGESSER
Bis 27.8., Di. – So., 12 – 18 Uhr, Galerie im Körnerpark, Schierker Str. 8, Katalog: 7 DM
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