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Räuberteller und Mockturtle

Wahre Lokale (34): Im Oldenburger „Steffmann“ redet man nie mit vollem Mund

Bei der wachsenden Zlatkoisierung und Wurschtigkeit dieser Welt stehen wir oft blöd da. Uns fehlt ein Zuhause, uns fehlt eine gute Gaststube. Der liebe Gott hat es gut gemeint mit Oldenburg in Oldb., denn in der Kuwickstraße 23/24 gibt es die Gaststätte „Steffmann“. Eine Oase der Gastlichkeit, tadellos und höchstgemütlich, hier gehen die Uhren richtig, wie es im nüchternen Umgangston unseres Büros heißt. Von außen grüßt täglich das Schild „Mittagstisch/Abendessen“, innen ist alles im grünen Bereich. Ein Gastraum vornean mit kleiner Theke, links und rechts der Speisesaal, dahinter noch ein Clubraum. Am Stammtisch wird kurz aufgelacht, der Kellner hilft der Damenwelt in den Mantel.

Es geht gleich gut los mit „Oldenburger Mockturtle“. Was ist das? Diese Frage hat schon Generationen von Germanistikstudenten ganz wuschig gemacht. Im Handumdrehen ist ein frisch gezapftes Bier auf dem Tisch. Nichts schmeckt so gut wie ein frisch gezapftes friesisch-herbes Jever Pils, außer wenn es Terpentin ist. Wer hat das gesagt? Dr. Johnson? Nein, Dr. Johnson hat gesagt: „Nein, der Mensch hat bisher noch nichts erdacht, was so viel Behagen schafft wie ein gutes Wirtshaus.“ Das ist Musik in unseren Ohren. All jene Menschen, die Musikberieselung in Restaurants überflüssig wie ein drittes Nasenloch finden, wissen ganz genau, wovon die Rede ist.

Apropos ist: das Publikum ist durchwachsen, die Bedienung ist auf dem Sprung, die Stimmung ist gut, man ist frei und ungezwungen in der Unterhaltung, redet aber nie mit vollem Munde. Beliebte Gesprächsthemen sind u. a. alte Fernsehserien („Wie hießen noch mal die beiden Hauptdarsteller von ‚Wagen 54 – bitte melden‘ “?) und der neue VfB Oldenburg (Oberliga).

An einem groben Tisch rechts von uns sagt jemand in die Runde: „Schade, dass Jens nicht hier ist!“ Kluge Eltern nehmen ihre Kinder mit. Gewiss, die aufmüpfigen Kleinen wollen keinen „Kinderteller“ und bestehen auf Kiba, der Papa spielt die beleidigte Leberwurst, die Mutti ist genervt, weiß nicht weiter, zählt bis drei, doch dann bietet die Kellnerin den „Räuberteller“ an: „Wir bringen dir Besteck und du ‚räuberst‘ bei Mama und Papa aufm Teller“. Sofort kommt Freude auf. Abend gerettet! Uff!

Es wäre jetzt vielleicht darüber zu reden, was auf unseren Tisch gekommen ist. Wir probierten Steinbeiber im Kartoffelmantel, danach 6 Nürnberger Rostbratwürstchen auf Sauerkraut und Kartoffelpüree, eins rauf mit Mappe. Der eingelegte Brathering nach Art des Hauses mit Bratkartoffeln erfüllt uns mit Staunen und Bewunderung und so weiter. Einige schwören auf das Original Wiener Schnitzel, andere würden im Winter zu Fuß nach Oldenburg i. O. gehen, nur um bei „Steffmanns“ Grünkohl mit Pinkel und Kassler zu essen. Einziger Wermutstropfen: Grünkohl gibt es nur bei Bodenfrost. Vor kurzem, es war Mitte Juli und nasskalt, starrten wir auf folgendes Schild an der Außenwand: „Oldenburger Grünkohl haben wir nicht, trotz der Kühle, aber sicher auch etwas für Sie auf der Karte: Feiner Fisch, frische Salate, zarte Steaks, junges Lamm, Pfifferlinge.“ Prima Stil. Ebenso wie der Tipp in „Steffmanns“ Speisekarte: „Brille vergessen? Wir besorgen Ihnen eine Lesebrille!“ Wie wunderbar. Fragt jemand in Oldenburg/Old., wo können wir noch hingehen?, so ist diese Frage leicht zu beantworten mit den Worten: „Schon wegen der Speisekarte lohnt sich der Besuch.“

Es ist außerdem ganz interessant, zu wissen, dass dieser Familienbetrieb im September 2000 genauso alt wird wie Queen Mum. We are amused. GÜNTHER WILLEN

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