„Die rechte Szene massiv verunsichern“

Bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus setzt Innensenator Werthebach auch auf ungewöhnliche Maßnahmen: 50-Mark-Scheine für Skinheads

taz: Herr Werthebach, haben Ihnen die NPD-Aufmärsche am Brandenburger Tor schlaflose Nächte bereitet?

Eckart Werthebach: Schlaflose Nächte nicht, aber ich habe sie mit großem Unwillen gesehen und habe mich recht machtlos gefühlt.

Sie haben sich in den letzten Monaten massiv für eine Einschränkung des Demonstrationsrechts am Brandenburger Tor eingesetzt. Lässt sich das Thema Rechtsextremismus in Berlin darauf reduzieren?

Keineswegs. Ich habe sehr frühzeitig und sehr intensiv auf die Gefahren hingewiesen, die von der rechtsextremistischen Szene ausgehen. Ich bin einer der Ersten gewesen, noch als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der darauf hingewiesen hat, dass sich die NPD zu einem Auffangbecken für gewaltbereite Neonazis entwickelt. Rechtsextremismus ist ein permanentes Problem, wo ständig gegengesteuert werden muss.

Mit welchen Maßnahmen wollen Sie die rechtsextreme Szene zurückdrängen?

Die Polizei muss an den Treffpunkten der Rechten erscheinen und dort regelrechte Razzien durchführen. Die Trefforte sind uns bekannt. Es handelt sich derzeit in Berlin um 33 Treffpunkte, die sich überwiegend im Ostteil der Stadt befinden: in Marzahn, Lichtenberg, Treptow und Pankow. Aber auch Neukölln ist sehr weit oben angesiedelt. Ich bin bei so einer Aktion mal dabei gewesen. Das wirkt sofort, indem es die rechte Szene massiv verunsichert.

Der harte Kern der Berliner Rechtsextremisten ist seit Jahren bekannt. Woran liegt es, dass die Polizei so wenig Fahndungserfolge vorzuweisen hat?

Hat sie wirklich so wenig Fahndungserfolge aufzuweisen? Wer hat denn vor kurzem die zündfähige Rohrbombe sichergestellt? Das war nicht zuletzt ein Erfolg der Berliner Polizei.

Der Sprengstoffanschlag auf das Grab des früheren Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Heinz Galinski, im Dezember 1999 wurde nie aufgeklärt.

Der Anschlag auf Galinskis Grab ist nach Ansicht der Polizei wahrscheinlich das Werk eines Einzeltäters. Wer der Täter ist, ist überhaupt nicht zuzuordnen. Die Polizei kann sich bei den Ermittlungen nur darauf stützen, welcher Zünder, welcher Sprengstoff verwendet wurde. Die Polizei vergleicht dies mit Erkenntnissen aus anderen vergleichbaren Anschlägen. Wenn Sie feststellen, diese Ausführung war ein Unikat, wie soll die Polizei einen solchen Anschlag dann aufklären?

Sie haben in der Vergangenheit mehrfach angekündigt, der Verfassungschutz müsse mehr V-Leute in die rechte Szene einschleusen. Warum ist das nicht schon längst gemacht worden?

Unser Problem ist doch, dass nicht für uns erkennbar die NPD diese Gewalttaten plant und durchführt, sondern dass andere handeln, ob im Auftrag oder nicht, das lasse ich mal dahingestellt. Es gibt andere, die diesen Strukturen nicht angehören oder jedenfalls diese Planungen nicht aus der Parteistruktur heraus machen. Das sind häufig Jugendliche, die in losen Zusammenschlüssen, z. B. aus Kameradschaften heraus, Gewalttaten planen.

Meine Vorstellung ist, die Verfassungsschützer auf die Straße und auf die Plätze zu schicken. Sie sollen versuchen, Informationen bei einzelnen dieser Skin-typischen Rechtsextremisten zu gewinnen. Man nimmt 50 Mark in die Hand und fragt die: Sag mal, Junge, was macht ihr so, was habt ihr so vor. Das muss noch nicht einmal verdeckt geschehen.

Welche Erfahrungen haben sie denn damit gemacht, Skinheads 50-Mark-Scheine in die Hand zu drücken?

Das hat das Bundesamt für Verfassungschutz bereits 1994/1995 gemacht. Sie bekommen Informationen. Die Frage war nur, wie verlässlich diese Informationen sind. Aber selbst, wenn ich mal 50 Mark in den Sand setze und dafür beim Übernächsten eine richtige Information erhalte, ist es immer noch gut angelegtes Geld.

Warum hat man diese Razzien nicht schon längst durchgeführt?

Das haben wir in Berlin schon im Frühsommer und Sommer 1999 gemacht, z. B. in Marzahn. Dort trifft sich die Szene an bestimmten Orten. Da ist die Polizei aufmarschiert und hat alle angesprochen. Sie mussten die Papiere vorzeigen, wurden nach Waffen überprüft. Das ist, was diese Szene angeht, die beste Form der Abschreckung.

Warum hat der Verfassungsschutz in den letzten Jahren mehr Geld für die Bekämpfung des Linksextremismus ausgegeben als für die Bekämpfung des Rechtsextremismus?

Das hängt mit der Ideologie der Linken beziehungsweise mit der wenig vorhandenen Ideologie der Rechtsextremisten zusammen. Wenn Sie einen Mann aus der linken Szene herausbrechen wollen, bedarf das eines enormen Aufwandes. Und wenn Sie ihn dann als V-Mann gewinnen wollen, dann müssen Sie sich das auch was kosten lassen.

Was fällt Ihnen zum Thema Zivilgesellschaft ein?

Die Aktion Z, die die taz gestartet hat, finde ich sehr gut. Bei der Diskussion um die Täter-Opfer-Beziehung haben wir immer wieder gesagt, dass sich diese Gesellschaft zu sehr um die Täter und zu wenig um die Opfer kümmert. Aber ich habe auch gesagt, die Gesellschaft muss hinschauen, reagieren, aktiv unterbinden. Das ist etwas, was unserer Gesellschaft fehlt.

Vor kurzem haben in Potsdam Bürger in der Straßenbahn eingegriffen, als Rechte einen Schwarzen angegriffen haben. Würde Sie diesen Bürgern Blumen überreichen?

Ja, das finde ich hervorragend. Das brauchen wir.

Wie sieht es mit der Zivilcourage bei der Polizei aus? Polizeipräsident Hagen Saberschinsky hat vor kurzem gesagt, dass einem Polizisten das Wort „Kanake“ in einer Stresssituation schon mal rausrutschen könne.

Wir sind alle charakterlich unterschiedlich. Polizisten stehen Tag für Tag in besonderen Konfliktsituationen: Das ist keine Entschuldigung, aber eine Erklärung.

Was muss man tun, damit solche Dinge nicht mehr vorkommen? Es gab ein interkulturelles Modellprojekt für Polizeibeamte, das im Oktober 1999 aus Geldmangel eingestellt wurde. Kostenpunkt 100.000 Mark im Jahr. Warum setzt man so etwas nicht fort?

Die Polizei hatte das Projekt sehr begrüßt. Vielleicht lässt sich ein Teil der Gelder, die die Bundesregierung aktuell zur Verfügung stellt, hierfür abzweigen.

Die Polizei kommt dienstlich vor allem mit kriminellen Ausländern oder mit Tatverdächtigen in Kontakt und entwickelt ein verzerrtes Bild von Migranten. Muss da nicht gegengesteuert werden?

Gerades dieses findet im Rahmen der Fortbildung an der Polizeischule statt. Aber Sie wissen, in welchem Maße unsere Polizei eingesetzt ist, wie viele Überstunden sie machen. Wenn ich sie dann auch noch zur Fortbildung schicke, dann habe ich noch weniger Polizisten. Aber ich gebe zu, das ist durchaus ein Ansatz, über den man ernsthaft nachdenken muss.

Zivilcourage heißt auch gegenüber denjenigen eingreifen, die den Rechten die Stichworte liefern. Die Junge Union hat im Wahlkampf in Kreuzberg die Kampagne „Deutschland muss in Kreuzberg wieder erkennbar sein“ durchgeführt. Sie selbst haben gesagt, das Thema Einwanderung eigne sich nicht als Wahlkampfthema. Wie wollen Sie sich in Ihrer Partei für diese Auffassung stark machen?

Ich bleibe bei meiner Aussage. Bei der Wortwahl muss insbesondere die Politik daran denken, wie es wirkt, was sie sagt. Die Politik ist aber auch dazu da, das, was es in der Bevölkerung an politischen Strömungen gibt, aufzugreifen. Wir müssen als CDU erreichen, dass die Mehrheit der Bevölkerung sich in der Parteienlandschaft wieder findet. Es kann nicht sein, dass wir Politikfelder völlig ausklammern, von denen wir wissen, dass sie der Bevölkerung unter den Nägeln brennen. Es kann nicht sein, dass die Politik diese Bevölkerungskreise sich selbst überlässt, bis diese dann ein Sprachrohr außerhalb des demokratischen Spektrums finden.

Interview: UWE RADA
und DOROTHEE WINDEN