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News from the Totenhaus

Längst verstorbene Autoren kommentieren bei Amazon.com ihre eigenen Werke

Im Himmel wird Englisch gesprochen. Oder Albert Einstein war einfach zu aufgeregt, um einen klaren Satz zu schreiben, als er Gott beobachtete – beim Würfeln. Zumindest schrieb er am 10. August in ungelenkem Deutsch beim Internet-Buchladen Amazon.com in einem Autorenkommentar (http://www.amazon. com/exec/obidos/ASIN/0875482864/103-2614869-7531857) zu einem seiner Bücher: „Ich hab den lieber Gott am Wurfelspielen gesehen. Ja tatsaechlich! Ich hab’s gesehen.“ Und in Englisch schob er hinterher: „God does play with dice. Really! I’ve seen him playing.“

Dass Einstein den „Holy Secretarial Service“ für das miese da übersetzte Deutsch verantwortlich macht, stimmt misstrauisch. Muss Einstein, der in Zürich studierte, sich tatsächlich beim Deutschschreiben helfen lassen? Ganz abgesehen davon ist schwer zu erklären, wie eine E-Mail aus dem Himmel auf der amazon.com-Seite landet.

Das britische online-Magazin Need to know (unter http://www.ntk.net) glaubt gar, „die teuflische als amazon bekannte Sekte“ würde tote Autoren zum Leben erwecken. Ihre investigativen Kollegen von The Register (http://www.theregister.co.uk) haben hingegen herausgefunden, dass es gar nicht tote Autoren selbst sind, die so etwas schreiben. Vielmehr könnte praktisch jeder auf den Button „Ich habe das Buch geschrieben, und ich möchte einen Kommentar über mein Buch abgeben“ klicken und drauflos schreiben. Ernsthafte Kontrollen habe man nicht bemerkt. So kommt es dann, dass Dostojewski (dostoyevsky@soviet.gulag.siberia.org) am 25. Juli 1996 seine „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“ kommentiert (http://www.amazon.com/exec/obidos/ASIN/067973452X/103-2614869-7531857): „I’m dead but I like it! Yeah, I’m the author! Risen from the underground! Ha! Great book! I recommend it highly!“

Einige Autoren ärgert das. Ted Dawn zum Beispiel, der Vorsitzende der Kinderbuchautoren-Gruppe bei der britischen Schriftstellervereinigung zeigte sich gegenüber Amazon „tief besorgt“. Andere Kollegen sehen das gelassen. Der britische Schriftsteller Matt Thorne meinte, nachdem Journalisten von The Register in seinem Namen Kommentare schrieben: „Darüber bin ich gar nicht besorgt. Das spart mir doch die Arbeit, es selbst zu tun.“ Auch wenn es Thorne betrübt – Amazon in Großbritannien behauptet, so etwas könne eigentlich gar nicht passieren. Pressesprecherin Lisa Ramshaw lobt „Sicherheitskontrollen“, die bisher nicht versagt hätten. Wie die denn aussehen, wollte sie The Register nicht verraten – dann würde sie ja jeder kennen und umgehen können.

Bei Einstein und Dostojewski haben die Kontrollen wohl versagt. Ein Tipp für Amazon bei solch schwierigen Fällen: Anhaltspunkt könnte hier das Sterbedatum sein. Albert Einstein starb am 18. April 1955, und Fjodor Michailowitsch Dostojewski am 9. Februar 1881. Johann Wolfgang von Goethe starb 1832 und arbeitet, wie aus gut informierten Kreisen kolportiert wird, gerade an einem flotten Kommentar zu seinem Gesamtwerk, soll aber mit den einleitenden Zeilen noch nicht ganz zufrieden sein: „Leser, o schaut auf mein Werk / o lest meine tollen Gedichte / rühmt meinen prächtigen Faust / erkennt ihr den Genius nicht? / Ja, ihr preist mich zu Recht / und meine göttlichen Texte / betet nur weiter mich an / denn das gefällt mir ganz gut.“ Man darf gespannt auf das Endergebnis sein. KONRAD LISCHKA

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