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Heavy Metall in der Lagerbaracke

Vor einer Woche wurde in der ehemaligen Gerberei des KZ Auschwitz eine Diskothek eröffnet. Der Auschwitzrat protestiert, die Internationale Jugendbegegnungsstätte klagt über Lärmbelästigung. Nun muss die Regierung in Warschau entscheiden

aus WARSCHAU GABRIELE LESSER

In der ehemaligen Gerberei des Konzentrationslagers Auschwitz sorgen seit einer Woche stampfende Rhythmen und Laserwerfer für gute Stimmung. Gegen die Diskothek hat nun der internationale Auschwitzrat protestiert. Auch das wenige Meter entfernt liegende Internationale Jugendbegegnungzentrum fordert die Schließung von Nachtklub und Diskothek.

Adam Bilski, Bürgermeister von Oswiecim, wie die Stadt polnisch heißt, sieht allerdings keine Veranlassung, die Genehmigung für die Diskothek zurückzuziehen: Das ehemalige KZ, so der Bürgermeister, liege mitten in der Stadt Oswiecim. Und Gebäude, in denen Häftlinge arbeiten mussten, seien über die ganze Stadt verteilt. Wenn jedes dieser Gebäude zum Museum erklärt würde, sei ein normales Funktionieren der Stadt nicht mehr möglich.

Vom Diskolärm gestört werden auch die Jugendlichen, die sich im Internationalen Jugendbegegnungszentrum Auschwitz mit dem Holocaust und dem Antisemitismus auseinandersetzen. Wladyslaw Bartoszewski, Außenminister Polens und Vorsitzender des Internationalen Auschwitzrats, will nun mit der Regierung eine Lösung finden, die allen Seiten gerecht wird.

Das dürfte nicht einfach sein, denn Bürgermeister Adam Bilski scheint das Recht auf seiner Seite zu haben. Die Diskothek liegt über einen Kilometer vom ehemaligen KZ Auschwitz entfernt und damit außerhalb der Schutz- und Ruhezone rund um die heutige Gedenkstätte. Der Gedanke aber, dass heute in der ehemaligen Gerberei von Auschwitz getanzt und getrunken wird, ist für viele Opfer eine Zumutung. In der Gerberei hatten einst über 1.000 KZ-Häftlinge Zwangsarbeit leisten müssen. Sie hatten Tierhäute gegerbt, Uniformen der SS genäht und Strümpfe und Haare der ermordeten Juden sortieren müssen.

In Auschwitz gab es viele solcher Orte. Dass nun in jedem dieser furchtbaren Gebäude ein Museum einzurichten sei, verlangt niemand. Die Gebäude sollten vielmehr, so erklärt auch Feliks Tych, Direktor des Warschauer Jüdischen Historischen Instituts, möglichst wieder so genutzt werden wie vor dem Krieg. Warum in der ehemaligen KZ-Gerberei aber getanzt werden muss, versteht auch Feliks Tych nicht: „Das ist eine kleine Provokation. Natürlich kann man in Oswiecim eine Diskothek organisieren. Die Jugend dort will sich auch amüsieren und nicht nun immer Auschwitz beweinen. Aber es wird doch wohl in Oswiecim noch einen anderen Ort für eine Diskothek geben als die Gerberei?“ Tych hält es auch für falsch, die Diskothek ausgerechnet neben dem Internationen Jugendbegegnungszentrum zu eröffnen. Für die jungen Leute ist dort vor allem eines wichtig: Ruhe.

Leszek Szuster, der den Jugendlichen das Stammlager Auschwitz und das rund vier Kilometer entfernte Vernichtungslager Birkenau zeigt, mit ihnen über den Holocaust spricht und auch Zeitzeugen einlädt, klagt über den nächtlichen Lärm: „Die Diskothek stört die Nachtruhe in unserem Haus. Wir sind zur Zeit nicht in der Lage, unseren jungen Gästen die gerade hier so nötige Ruhe zu bieten.“

In den nächsten Tagen wird die Regierung in Warschau entscheiden müssen, wer künftig seine Tore schließen muss: die Diskothek in der ehemaligen KZ-Gerberei oder das Internationale Jugendbegegnungszentrum.

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