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Die Gürtelschnalle erkennen

RechtsmedizinerInnen kümmern sich auch um Gewaltopfer, die überlebt haben. Ihre Spurensicherung kann den Betroffenen eine „sekundäre Viktimisierung“ vor Gericht ersparen  ■ Von Elke Spanner

Quincy kennen alle, und Quincy prägt das Bild. GerichtsmedizinerInnen, lehrt das Fernsehen, sind zum Aufschneiden von Leichen da. Gekühlte Hallen, aufgebahrte Tote mit Nähten von Brust bis Bauchnabel – „Iiihh!, denken die Leute sofort, wenn sie hören, dass ich Rechtsmedizinerin bin“, lacht Dragana Seifert. Dabei ist nicht jedes Verbrechen ein Mord, und die meisten Menschen, die Gewalt erfahren, überleben die Tat. Für die ist dann Dragana Seifert da. „Ich bin Rechtsmedizinerin für Lebende“, sagt die 41-Jährige, die vor zwei Jahren die „Rechtsmedizinische Untersuchungsstelle für Opfer von Gewalt“ eingerichtet hat, die einzige ihrer Art bundesweit.

Seifert greift zum Telefon, um noch kurz mit einer „Geschädigten“ zu sprechen, wie es juristisch heißt. „Sind die Verletzungen sichtbar?“ fragt sie die Frau am anderen Ende der Leitung, und dann, ob diese sich von ihr untersuchen lassen will. „Die Arme“, sagt sie anschließend, „sie ist heute Nacht von ihrem Freund verprügelt worden.“ In der chirurgischen Notambulanz des Krankenhauses, wo die Frau zur Wundversorgung war, hatten die diensthabenden ÄrztInnen sie auf die Möglichkeit hingewiesen, sich rechtsmedizinisch untersuchen zu lassen. Noch unter Schock, wollte die Frau lieber nach Hause gehen und sich unter ihrer Decke verkriechen. Am nächsten Tag dann erklärte sie sich doch dazu bereit.

Auch wenn es eine zusätzliche Untersuchung und im ersten Moment lästig ist: Sollte sie ihren Freund zur Anzeige bringen, wird das rechtsmedizinische Gutachten der Frau viele Unannehmlichkeiten ersparen können. Eine umfassende Dokumentation kann das verhindern, was Fachleute „sekundäre Viktimisierung“ nennen: die erneute schwere Belastung eines Opfers durch ein Gerichtsverfahren. Steht im Sachverständigenbericht verbrieft, wann die Wunden verursacht wurden, wird die Frau in einem späteren Prozess leichter das Alibi des Täters widerlegen können. Hat Seifert festgestellt, dass die Verletzungen keinesfalls durch einen Sturz, sondern nur durch Gewalteinwirkung zugefügt worden sein können, muss die Frau sich keine Sorgen machen, dass niemand ihr glaubt. Das Gutachten ist somit nicht nur Ermittlungshilfe, sondern für die Opfer einer Gewalttat auch eine psychologische Stütze. „Sie können oft nur schwer aushalten, dass sie so viele Fragen beantworten müssen“, sagt Seifert. „Sie wissen, was ihnen passiert ist und fragen sich: Wieso glaubt das Gericht mir nicht?“

Vielen Gewaltopfern fällt es leichter, sich ihren HausärztInnen anzuvertrauen. Die aber können zwar feststellen, wo am Körper sich Hämatome oder Schnittwunden finden. Analysieren hingegen können sie diese nicht. RechtsmedizinerInnen dagegen sind „Fachärzte im Begutachten von Verletzungen“, wie Seifert sagt. An der Verfärbung einer Wunde kann sie beispielsweise den Tatzeitpunkt ablesen. Hat jemand innere Verletzungen, kann sie beurteilen, wieviel Gewalteinwirkung nötig war, um Milz oder Niere zu beschädigen. Berichtet ein Tatopfer, vom Täter gewürgt worden zu sein, kann eine Rechtsmedizinerin spezifische Male am Hals und in den Augenbindehäuten feststellen. Manchmal kann sie an der Form einer Wunde sogar erkennen, womit der Täter zugeschlagen hat. Ein Hausarzt würde nur festhalten: „Blutunterlaufung am Oberarm.“ Seifert fügt hinzu, dass die Wunde den Abdruck einer Gürtelschnalle zeigt.

Zudem waschen HausärztInnen Speichel, Sperma oder Hautfetzen des Täters bei der Wundversorgung ab. In der „rechtsmedizinischen Untersuchungsstelle“ werden die Beweismittel asserviert, fachgerecht aufbewahrt.

Die rechtsmedizinische Untersuchung ist nicht mit einer Anzeige bei der Polizei verbunden. Weder muss das Opfer diese vorher erstattet haben, noch wählt Seifert nach der Behandlung die 110. Ziel ist allein, die Spuren einer Gewalttat festzustellen. Sind die Beweise gesichert, kann das Opfer sich anschließend immer noch in Ruhe überlegen, ob es Anzeige erstatten will. Dazu verpflichtet ist man nicht.

Nicht nur für Strafprozesse ist es hilfreich, Verletzungen fachkundig begutachten zu lassen. Günstig kann die Spurensicherung auch für Zivilverfahren sein, zum Beispiel bei Ehescheidungen. „Eine Frau kann bei uns dokumentieren lassen, dass ihr Mann sie schlägt“, sagt Seifert. „bei der späteren Scheidung kann sie dann das Gutachten vorlegen und muss nicht fürchten, dass niemand ihr glaubt“. An die rechtsmedizinische Untersu-chungsstelle kann sich auch wenden, wer den Verdacht einer Misshandlung abklären will. Wenn etwa einem Lehrer in der Schule ein Kind auffällt, weil es oft blaue Flecken am Körper hat. Liegt die Vermutung nahe, dass das Kind von den Eltern geprügelt wird, könnte Seifert diese wahrscheinlich schnell erhärten oder entkräften. Sie hofft, für solche Fälle die Zusammenarbeit mit Kindergärten, Schulen und dem Jugendamt intensivieren zu können.

Über Messerstechereien, Vergewaltigung und Prügel spricht Seifert so routiniert, dass man spürt: Gewalt ist für sie schockierend, aber Alltag. Nur das rasche Redetempo verrät, wie viele Berichte sie zu verarbeiten hat. Vor allem Vergewaltigungen sind die Fälle, die sie „am meisten mitnehmen“. Die nötige Distanz verschafft sie sich mit dem Gedanken, dass sie den Opfern durch ihre Arbeit immerhin helfen kann. Die „rechtsmedizinische Untersuchungsstelle für Opfer von Gewalt“ kooperiert bereits mit den Hamburger Frauenhäusern. Denn gerade bei Vergewaltigungen ist es wichtig, die Verletzungen und biologischen Spuren wie Sperma oder Hautfetzen sofort feststellen und asservieren zu lassen. Am leichtesten sind die nachzuweisen, ehe die Frau sich geduscht und abgeseift hat. Doch gerade nach einer Vergewaltigung, weiß Seifert, ist die Überwindung für die Frauen besonders groß, eine zusätzliche Untersuchung auf sich zu nehmen. Die meisten wollen nach Hause, sich waschen, einigeln, vergessen. Und trotzdem kann die Sicherung objektiver Spuren ihnen das Schicksal ersparen, dass später ihre Glaubwürdigkeit in Zweifel gezogen wird.

Für die Untersuchung muss niemand ins Institut kommen, das auf dem Gelände des Universitätskrankenhauses (UKE) liegt. Seifert sucht die PatientInnen auch in der Praxis ihrer Hausärztin, bei der Polizei oder im Frauenhaus auf. Nur in Privatwohnungen geht sie nicht – aus Vorsicht.

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