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Mit Schlangen- und Totenkopfschmuck

Was in der Berichterstattung über ausländerfeindliche Gewalt fehlt: Radikalislamisten terrorisieren Muslime

BERLIN taz ■ Am 16. August greift in einer Reutlinger Asylunterkunft eine 25-köpfige Gruppe vier Flüchtlinge an und verletzt einen mit Messerstichen. Die Täter: Anhänger einer militanten islamistischen Bewegung mit dem Namen Khatme-e-Nabuwwat, zu Deutsch: Siegel des Propheten. Die Opfer: Mitglieder der islamischen Reformergemeinschaft der Ahmadiyya, die aufgrund religiöser Verfolgung Pakistan verlassen mussten und in Deutschland Asyl beantragten.

Mirza Tahir, der Kalif der Ahmadiyya-Muslimgemeinschaft, besuchte bis gestern Deutschland. Der 53-Jährige lebt in London und ist das Oberhaupt für die rund 3,5 Millionen Anhänger der weltweit verstreuten Gemeinschaft. 35.000 seiner rund 50.000 in Deutschland lebenden Anhänger haben Tahir in Mannheim zu einen dreitägigen Kulturfest empfangen. Vertreter andere muslimischer Organisationen fehlten allerdings, so die Veranstalter. Der Grund: Die Ahmadiyya gelten für die Mehrheit der Muslime als Häretiker, weil sie an einen Propheten nach Mohammed glauben und den Dschihad, den Heiligen Krieg, ablehnen.

Der Begründer der Gemeinschaft erklärte sich im ausgehenden 19. Jahrhundert selbst zum Nachfolger des Propheten Mohammed. In den Augen der orthodoxen Islaminterpreten ist das Gotteslästerung und ein Abfall vom wahren Glauben. Gemäß der Scharia, dem islamischen Rechtssystem, wird dies mit dem Tod bestraft. Seit 1996 klagt die Gemeinschaft über aggressive Anfeindungen seitens radikaler Muslime, ohne in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit Gehör zu finden. „Sicherlich bilden die Ahmadiyya-Muslime innerhalb der 3 Millionen Muslime im Land, von denen die Mehrheit aus der Türkei stammt, ein kleine Minderheit“, so der katholische Theologieprofessor Christian Troll aus Berlin.

Die Nachrichten über die Gewalt gegen die Ahmadiyya aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit haben den Dialogexperten aufgeschreckt. Er fordert die Vertreter des organisierten Islam in Deutschland auf, sich von solchen religiös motivierten Gewalttaten unverzüglich zu distanzieren. Der Übergriff in Reutlingen war kein Einzelfall. Der Ablauf der Eskalation ist immer gleich: Vor der gewalttätigen Übergriffen stehen Drohungen und die Aufforderung, der Un-Religion abzuschwören. Die Radikalislamisten überschwemmen vor allem von Baden-Württemberg aus islamische Einrichtungen mit Anti-Ahmadiyya-Pamphleten und antisemitischer Propaganda. Bei einer Hausdurchsuchung in der Heilbronner Zentrale von „Siegel des Propheten“ stellte der Staatsschutz Baden-Württemberg große Mengen von Anti-Ahmadiyya-Hetzpropaganda und Kampfschriften sicher. Schlangen und Totenköpfe verzieren die Papiere. Die Verfasser stellen jedem, der einen Ahmadi tötet, einen Platz im Paradies in Aussicht. Gewalttätige Übergriffe gegenüber Ahmadis gab es in der Vergangenheit auch in anderen Bundesländern, so in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Die religiösen Fanatiker aus Pakistan sind zwar nur eine Minderheit innerhalb der islamischen Gemeinschaft. Aber die Ermittlungsergebnisse der Behörden zeigen, dass sich die religiösen Aktivisten bei ihrem Feldzug gegen die Ahmadiyya auch der Einrichtungen gemäßigter islamischer Organisationen bedienen dürfen. Eine Milli-Görüș-Moschee in Karlsruhe diente den religiösen Eiferern als Kontaktadresse. In der „offenen Moschee“ von Mannheim, dem wichtigsten Symbol für gelebte Integration und ein friedliches Miteinander der Religionen, durften die religiösen Extremisten sogar eine internationale Konferenz abhalten. Dabei erklärten Gastredner aus Saudi-Arabien „Deutschland zum Feind des Islam“, weil es den Ketzern Asyl gewähre. AHMED SENYURT

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