: Die 100.000-Mark-Frage
Von SEVERIN WEILAND
Am frühen Morgen steht Christian Ströbele vor einem Wald von Kameras. „Die Version von Frau Baumeister“, kommentiert er ihren Auftritt vom Vorabend, „hat einen kleinen Knacks bekommen.“ Eine Stunde später blickt er zum zweiten Mal in die Kameras. Vor einer knappen halben Stunde, in der zweiten Gegenüberstellung, hat Wolfgang Schäuble ein Telefonat mit Brigitte Baumeister zugegeben, das er am Abend zuvor kategorisch ausgeschlossen hatte. Ein Detail, das Schäubles Glaubwürdigkeit erschüttern könnte. Ströbele, der Vertreter der Bündnisgrünen im Ausschuss, steht also ein wenig hilflos da und korrigiert sich. Jetzt stünde Frau Baumeisters Aussage wieder in einem „helleren Licht“. Schließlich sagt Ströbele, was auch vor der Zusammenkunft des Ausschusses klar war: „Wir haben bisher nicht den Beweis, wer hier lügt.“
An zwei Tagen haben der frühere Fraktions- und Parteichef und die frühere Bundesschatzmeisterin und parlamentarische Geschäftsführerin am Zeugentisch nebeneinander gesessen. Vier Stunden lang, getrennt nur durch Baumeisters Anwalt. Jeder hat seine Version erzählt, wie die Barspende des Waffenhändlers Karlheinz Schreiber an die CDU gelangte. Sie sind keinen Millimeter von früheren Aussagen abgewichen. Schäuble will das Kuvert mit dem Geld am 22. September 1994 in seinem Bonner Büro von Schreiber direkt erhalten haben; Baumeister bei einem Treffen in Schreibers Privathaus in Kauferingen am 11. Oktober. Am 17. Oktober 1994, einen Tag nach der Bundestagswahl, habe sie den verschlossenen Umschlag Schäuble überreicht, einen Tag später ein Kuvert von diesem erhalten mit dem Zusatz, darin befänden sich 100.000 Mark von Schreiber. Um zu verstehen, warum überhaupt so viel Aufhebens um einen vergleichsweise geringen Betrag gemacht wird, muss man sich noch einmal ins Frühjahr zurückversetzen: Im Januar hatte Schäuble in einem Fernsehinterview erklärt, die Spende von Schreiber direkt erhalten zu haben. Baumeister, die zunächst seine Version stützte, widersprach ihm wenig später. Zwei Aussagen zu ein und demselben Vorgang – Wolfgang Schäubles Stellung, inner- und außerhalb der Partei, begann zu erodieren. Am Ende stand sein Rücktritt als Partei- und Fraktionschef.
Es geht also um weit mehr als 100.000 Mark, die an diesen beiden Tagen im Ausschuss behandelt werden. Ein Lebenswerk ist zerbrochen. Im Großen das von Wolfgang Schäuble und im Kleinen das von Brigitte Baumeister. Im Sitzungssaal der Katholischen Akademie in Berlin haben sie getrennte Eingänge genommen. Schäuble, im grauen Anzug, ist die Anspannung nur äußerlich anzusehen: er vergräbt sein Kinn in den Händen, sein Blick geht meist geradeaus, dorthin, wo der Ausschussvorsitzende Volker Neumann sitzt. Er bleibt ansonsten ruhig und kühl, seine Stimme schwankt kaum.
Brigitte Baumeister, die Anfangs in die Kameras gelächelt hat, wendet sich im Verlaufe des Morgens mehrmals an ihren früheren Fraktionschef. Sie sucht Blickkontakt, spricht ihn mit seinem Vornamen an: „Wolfgang“. Doch Schäuble hat mit Baumeister endgültig gebrochen. Das will er ihr, das will er dem Saal mitteilen. Er nennt sie stur „die Frau Kollegin“.
Wer den Riss begreifen will, der muss sich vor Augen halten, dass diese beiden Menschen einst eng zusammenarbeiteten. Jahrelang. Schäuble war es, der Baumeister 1991 als parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion vorschlug. Man duzte sich. Man besprach Persönliches. Zumindest sagt das Brigitte Baumeister: „Unser Verhältnis war so, dass es über den Geschäftskontakt hinausging“. Das sieht Wolfgang Schäuble heute anders. Ein „vernünftiges Verhältnis“ sei es gewesen, „mehr war es nicht“.
Seit Mitte Januar, nachdem Schäuble seine Version im Fernsehen ausbreitete und sich damit öffentlich festlegte, haben die beiden nicht mehr miteinander gesprochen. Wie die Partei in der Hochphase der Spendenaffäre tickte, wie ihre Funktionsträger miteinander umgingen, wie sie sich selbst aus dem Wege wichen, das ist das eigentlich Spannende an diesen beiden Tagen im Ausschuss. Da schildert Baumeister, wie sie im Frühjahr versuchte, an Schäuble heranzukommen, wie sie sogar das CDU-Präsidium um Vermittlung bat. „Mir war es nicht vergönnt“, sagt sie.
Und Schäuble? Zu diesem Zeitpunkt, sagt er, sei bei Frau Baumeister „Dichtung und Wahrheit“ nicht mehr auseinander zu halten gewesen. Auch andere Kollegen der CDU hätten nur in Anwesenheit eines Dritten das Thema mit ihr besprechen wollen. „Es ist ja alles verdreht worden“, sagt Schäuble, „deshalb habe ich keinen Sinn darin gesehen, mit ihr zu reden.“
Warum Baumeister erst Schäubles Version gefolgt ist und später nicht mehr, das wird so recht auch nach ihren Ausführungen nicht klar. Sie habe sich in „wahnsinnigen Loyalitätskonflikten befunden“, sich mit ihrer Familie, ihren Rechtsanwälten beraten. „Ich wollte dir helfen“, sagt sie.
In Schäubles Welt ist Baumeister Teil jener Intrige, von der er mehrmals öffentlich gesprochen hat. Im Ausschuss nennt er niemanden mit Namen – außer Schreiber, den Waffenhändler, der in Kanada auf seine Auslieferung nach Deutschland wartet. Journalisten hätten ihm erzählt, wie „von dort aus die Anrufe nach Berlin gegangen sind“. Der Hieb zielt in Richtung Helmut Kohl, den Schäuble als Hintermann seines Niederganges sieht. Doch als ein Mitglied des Ausschusses nach Namen der Medienvertreter fragt, blockt Schäuble ab. Die Journalisten würden nie Namen nennen. Wie an dem früheren Parteichef ohnehin der geschulte Jurist zu erkennen ist, der, wenn es sein muss, die Dinge ein wenig in der Schwebe lässt. „Sie sagen also nicht, dass Frau Baumeister Teil der Intrige ist?“, fragt ihn ein Ausschussmitglied. Schäuble überlegt einen kurzen Augenblick: „Meine Aussagen dazu sind ziemlich klar.“
Außenstehenden ist es unmöglich, ein Urteil über die beiden Protagonisten zu fällen. Wer sagt die Wahrheit? Um welche Wahrheit geht es vor allem? Schäuble will Baumeister dazu gedrängt haben, Schreiber umgehend eine Quittung auszustellen. „Ich wollte nicht, dass der Schreiber denkt, ich wollte das Geld für mich behalten.“ Das bestreitet Baumeister. Erst viel später seien mehrere Modelle für Quittungen erstellt worden. Um seine Version zu stützen, hat Schäuble sogar einen langjährigen Freund, einen Architekten aufgeboten. Der erzählt dem Ausschuss, wie Schäuble ihm im Herbst 1994 von der Schreiber-Spende erzählt habe. „Du glaubst ja gar nicht, was man in Bonn so alles erlebt“, will Schäuble gegenüber dem Freund ausgerufen haben.
Baumeister selbst hat das Geld zunächst in einem Tresor verwahrt, fast ein halbes Jahr lang, bevor sie es – entgegen den Bestimmungen des Parteiengesetzes – unter der Rubrik „Sonstige Einnahmen“ im Haushalt der Partei 1995 rückwirkend für 1994 verbuchte. Eigentlich hätte sie die anonyme Spende der damaligen Bundestagspräsidentin übergeben müssen. „Das war ein klarer Verstoß, dazu stehe ich“, sagt Baumeister im Ausschuss.
Schäuble und Baumeister, das ist ein wechselseitiges Verwirrspiel. Da ist etwa das zweite Treffen Schäubles mit Schreiber vom 2. Juni 1995 in Bonn. Schreiber habe ihn alleine getroffen, an Details der Unterredung könne er sich nicht mehr erinnern. Das Treffen sei sehr kurz gewesen, da er zur Plenarsitzung hinübergemusst habe, wo der damalige Finanzminister Theo Waigel eine Rede hielt. Diese zweite Zusammenkunft mit Schreiber, die Schäuble im Frühjahr zunächst geleugnet und nach einem Blick in seinen Terminkalender dann doch eingestanden hatte, nennt er „einen Vorgang ohne jede Bedeutung“. In der Erinnerung von Baumeister hingegen wartete Schreiber in ihrem Vorzimmer. Zusammen seien sie dann vor Schäubles Büro gegangen. Das Treffen des Waffenhändlers mit Schäuble ist pikant, weil kurz darauf das Kanzleramt sich wegen eines von Schreiber gewünschten Rüstungsvorhabens in Kanada engagierte, um das er sich seit 1985 bemühte.
Am Ende der Gegenüberstellung versucht Baumeister ein allerletztes Mal, ihrem früheren Förderer nahe zu kommen. Sie beugt sich über den Tisch, versucht an ihrem Anwalt vorbei Schäubles Blick aufzufangen. Ihre Stimme bricht, je länger sie spricht: „Von einer Intrige zu sprechen, das war das Schlimmste, was ich erlebt habe.“
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