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zinsersparnisse verteiltEine verschenkte Milliarde

Es war schon kein gutes Zeichen, dass sich die rot-grünen Finanzexperten in Germering bei München trafen, um über die Zukunft des Bundeshaushalts zu beraten. Die als beschaulich-bayerischer Ort präsentierte Gemeinde zählt sage und schreibe 36.000 Einwohner. Germering ist ein Mega-Kaff. Ein künstliches Gebilde der neureichen Münchener wissenschaftlich-technischen Intelligenz, die es auf die altbayerische Scholle vor der Stadt zieht. Was in Germering zählt, ist das Eigenheim und die Zahl der Autos in der Garage. Wichtig ist das Geld.

Kommentarvon CHRISTIAN FÜLLER

Der Germeringer Blaupause folgend, haben Rot und Grün nun einen Beschluss gefasst, der der bayerischen Geldschickeria gefallen mag. Nicht nur die direkten Erlöse von 99 Milliarden Mark aus der Versteigerung der Mobilfunkfrequenzen sollen Schulden abbauen helfen. Nein, zusätzlich wird eine Milliarde Mark zur Tilgung verwendet, die dem Bund aus Zinsersparnissen (von insgesamt fünf Milliarden Mark) zufällt. Das bedeutet: Ohne Not wird eine Milliarde im Haushaltsloch versenkt. Das Finanzsystem ist auch bei Rot-Grün wichtiger als echte Investitionen in die Zukunft.

Das Ergebnis ist kein Zufall. Die Sozis, früher als notorische Schuldenmacher verschrien, feilen an ihrem neuen Image als Verhinderer des Staatsbankrotts. Den Rest der Zinsersparnisse, die zum großen Teil in den Verkehr fließen, wollen sich die Grünen gutschreiben. Sie benutzen die paar Kilometer Schiene, die sie der Autobahn abgezwackt haben, für die Wiederentdeckung ihres Profils. Für die regierungsverschlissene Partei ist das wohl gut. Für das Land aber bringt die verschenkte Zinsmilliarde nichts.

Die Strategie der Schuldentilgung mag im Prinzip richtig sein. Aber warum einen Teil der Zinsersparnisse drangeben? Vor den Umrissen des Schuldenbergs, der 1,5 Billionen Mark hoch ist, nimmt sich die Milliarde lächerlich aus. Im Etat für das Jahr 2001 hätte man damit viel Sinnvolles anfangen können. Die Bildungseinrichtungen des Landes sind teilweise in einem erbarmungswürdigen Zustand. Die beste Anlage wäre wahrscheinlich die Stiftung „Zukunftsinitiative Jugend“. Der Hannoveraner Kriminologe Christian Pfeiffer schlägt sie vor, um dem nachwachsenden Rechtsextremismus entgegenzuwirken.

All diese Ideen sind in Germering zugunsten regierungs- und finanztaktischer Überlegungen verworfen worden. Leider. Denn Rot-Grün legt derzeit mehr Wert auf perfektes Regieren als auf die echten Nöte im Land – von denen es noch reichlich gibt.

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