: Sattes Wachstum erwartet
Wie wird sich der Energiemix der Stromerzeugung bis 2020 verändern? Welche Rolle spielen die Energieträger? Auch konservative Prognosen rechnen mit zügigem Ausbau der Naturstromquellen
Schon lange machen sich die Experten im Berliner Wirtschaftsministerium Gedanken darüber, wie ein neues Energiekonzept für den Industriestandort Deutschland aussehen könnte. Bis Ende September soll es vorliegen. Das letzte Energieprogramm für Deutschland wurde vor neun Jahren präsentiert – ein neues, das für mehrere Legislaturperioden gültig bleibt, ist also längst überfällig. Beim Energiepoker zwischen Politik und Versorgungsunternehmen hat Wirtschaftsminister Werner Müller die Prognos AG in Basel und die Energieexperten des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI) an der Uni Köln bemüht.
Im Energiereport III „Die längerfristige Entwicklung der Energiemärkte im Zeichen von Wettbewerb und Umwelt“ von Prognos und EWI sind vier Kernaussagen mit Blick auf die Stromversorgung von morgen wegweisend. Zunächst wird klar damit gerechnet, dass die Effizienz in der Energienutzung bis 2020 verbessert wird. Im Klartext: Wegen generell höherer Wirkungsgrade neuer Kraftwerke vor allem beim Einsatz von Gaskraftwerken sinkt der Brennstoffeinsatz. Im Vergleich zu 1995 rechnen die Autoren der Studie mit einer Verringerung um rund ein Viertel.
Zweitens wird deutlich: Die Atomenergie ist ein Auslaufmodell. Sie gehört zu den Verlierern des Strukturwandels. Die Gutachter schätzen, dass der Beitrag der nuklearen Stromfabrikation von 1999 bis 2020 von 13 auf 4 Prozent beim Primärenergieverbrauch zurückgeht. Interessant sind diese Zahlen deswegen, weil sie lange vor dem Zustandekommen des Atomkompromisses vorgelegt wurden. Also auch ohne Druck von Rot-Grün ist es in der Strombranche ein offenes Geheimnis, dass kein Experte damit rechnet, die Atomstromproduktion könne wie bisher weiterbetrieben werden.
Drittens wird klar unterstellt, dass Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (KWK) längerfristig in größerem Stil ausgebaut werden. „Bei KWK-Anlagen erhöht Gas seinen Marktanteil stärker als im übrigen Kraftwerksbereich. Insgesamt werden 2020 rund 70 Prozent der Gaskapazität auch für Wärmelieferungen herangezogen werden“, meint EWI-Chef Walter Schulz. Bereits ab 2005 rechnen die Autoren der Studie mit einer deutlichen Erweiterung der Stromerzeugung in KWK-Anlagen, da in größerem Maße gasbefeuerte Neuanlagen zum Einsatz kommen werden. In Zahlen: Bis 2020 ist eine im Vergleich zu heute um 50 Prozent höhere Stromerzeugung in Kraft-Wärme-Kopplung möglich.
Während die nukleare Stromproduktion zu den eindeutigen Verlierern des Wandels zählt, kann die Windkraftbranche getrost aufatmen. Frei nach dem Motto „The winner is ...“ werden alle deutschen Rotorenbauer in den nächsten 20 Jahren genug zu tun haben, wenn die Prognos/EWI-Experten sich nicht völlig verkalkuliert haben sollten. Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien wird demnach von heute 31 Milliarden Kilowattstunden (kWh) auf 63,8 Milliarden kWh bis 2020 ansteigen. „Der Anteil an der Gesamterzeugung erhöht sich von 5,7 Prozent auf 10,6 Prozent. Vor allem auf Grund der dynamischen Entwicklung der Windkraft wird der Ausbau der regenerativen Stromerzeugung optimistischer eingeschätzt als im letzten Energiereport“, so die Studie. Für die Gutachter wird die Windenergie selbst die Wasserkraft hier zu Lande überholen.
Auf wackligen Fundamenten steht dagegen der Aufschluss des Anschlusstagebaus Garzweiler II. Die Experten können sich durchaus vorstellen, dass moderne Steinkohlekraftwerke einen Nichtaufschluss kompensieren könnten.
Unterm Strich zeigt dieser Report, wohin die Energiereise in Deutschland geht: Windkraft legt ordentlich zu, Atomenergie läuft „geordnet“ aus, und Gas- und Steinkohle sollen zu den tragenden Säulen eines künftigen Energiemixes werden. Einziger Schwachpunkt der gesamten Prognose: Die Bedeutung der Brennstoffzellentechnik wird mit keiner Silbe erwähnt. Dabei könnte diese Technik nicht nur den Heizungsmarkt umwälzen, sondern auch dem Brennstoff Erdgas eine glänzende Zukunft bescheren. In der Fachpublikation Brennstoff, Wärme, Kraft (BWK) heißt es dazu: „In den Kellern von einigen Musterhäusern, Krankenhäusern und Schwimmbädern beginnt derzeit die bevorstehende Revolution in der Energietechnik. Die Revolution für den Energiemarkt resultiert aus der Stromproduktion der Zellen.“ Die Brennstoffzelle liefert Wärme und in ähnlicher Höhe stets auch elektrischen Strom. Die Folge: Die Haushalte können mit ihren kleinen Kraftwerken im Keller mehr Elektrizität erzeugen, als sie verbrauchen. Der Überschuss wird ins Netz eingespeist. Prognose des Fachblatts BWK: „Dies macht sogar die Stilllegung alter Kraftwerke möglich.“ MICHAEL FRANKEN
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