: Das „trojanische Pferd“
Mit seiner Version des Airbusgeschäfts mit Kanada will Schreiber zeigen, warum er sicher ist, nicht ausgeliefert zu werden
aus Toronto KLAUS WITTMANN
Von dem geheimen Treffen in der Augsburger Pizzeria sollte nie jemand etwas erfahren. Anfang Dezember 1999 ruft ein gewisser Herr „Fischer“ beim Augsburger Staatsanwalt Winfried Maier an. Der Anrufer behauptet, er könne dafür sorgen, dass sich der international gesuchte und in Kanada lebende Karlheinz Schreiber „legal in die USA begibt und dort festgenommen werden könnte“. Wie viel es den Augsburger Ermittlern wert sei, wenn er für die Festnahme sorge, will „Fischer“ wissen.
Auch wenn kurze Zeit nach dem Treffen Maiers mit „Fischer“ bei der Augsburger Staatsanwaltschaft eine Verfügung aufgesetzt wird, in der es heißt, man lehne es ab, sich an derartigen Versuchen zu beteiligen, macht doch das klandestine Tête-à-tête deutlich, wie sehr die Augsburger Staatsanwälte an einer Auslieferung Schreibers interessiert sind. Der Justizskandal „Ermittler verhandeln mit Entführer“ wird gerade noch vermieden, das Interesse an Karlheinz Schreiber, der Schlüsselfigur in der CDU-Spendenaffäre, bleibt. Und dies, obwohl Schreiber selbst findet, eine derartige Verfolgung habe er nicht verdient. Im Gegenteil, zu Lebzeiten des Franz Josef Strauß hätte er wohl eher einen Orden bekommen.
Wut auf die Steuerfahnder
Ein halbes Jahr nach diesem Treffen in der Augsburger Pizzeria erzählt Karlheinz Schreiber diese Geschichte dem Reporter aus Deutschland. Zu einem ersten kurzen Treffen bittet er in die Lobby des Hotels „Four Seasons“ im kanadischen Toronto. Für die Ermittler in Augsburg findet er wenig schmeichelnde Worte, vor allem für die Steuerfahndung. Böse Worte auch gegen den einstigen Partner Giorgio Pelossi. Und die Ankündigung, mit einer ganzen Reihe von Knüllern aufwarten zu wollen. Wenig später ist der Mann aus dem Harz mit dem Bierbauch aus Bayern auch schon wieder verschwunden. „Morgen können wir uns in aller Ruhe zusammensetzen zum Interview“, lässt er den Reporter in der Hotelhalle zurück und rauscht ab in seinem Jeep: zum nächsten Termin.
Der nächste Tag, mittags 12 Uhr: Warten vor dem Hochhaus Bloorstreet 102 in der noblen Geschäftsstraße in Toronto. Ein entspannter, gelassen wirkender Karlheinz Schreiber bittet in das streng gesicherte Gebäude. Den Security-Chef begrüßt er mit Handschlag. Die oberste Etage, dort wo sonst erfolgreiche Geschäftsabschlüsse begossen werden, hat der Kaufmann aus Kaufering in Oberbayern für diesen Nachmittag angemietet. Er kommt gleich zur Sache. Um die Hintergründe der ganzen Schreiber-Geschichte zu verstehen, um nachvollziehen zu können, warum er aus seiner Sicht und aus vollster Überzeugung seiner Anwälte zu Unrecht angeklagt sei, müsse man vor allem das Airbusgeschäft von 1988 durchleuchten, das einer der vier Hauptpunkte in der Anklage sei.
Aktion „Trojanisches Pferd“
Der Rüstungslobbyist beugt sich in der tiefen Couch nach vorne, beginnt mit seiner Geschichte: Durch einen an sich recht simplen Trick, durch die Hartnäckigkeit des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden von Airbus Industries, Franz Josef Strauß, und vor allem durch seine Vermittlung sei den Amerikanern die Marktführerschaft im zivilen Flugzeugbau streitig gemacht worden. „Ohne dieses Geschäft, das wir eingefädelt haben, gäbe es heute Airbus Industries und wohl auch die Dasa nicht mehr.“ Dann erzählt der Geschäftsmann mit der deutschen und der kanadischen Staatsbürgerschaft von den vergeblichen Versuchen der US-amerikanischen Bundespolizei FBI, den Deal zu verhindern, und von einem ehemaligen Buschpiloten, der als „Trojanisches Pferd“ bei dem Großauftrag diente.
In den Siebziger- und Anfang der Achtzigerjahre sei das europäische Airbuskonsortium am Ende gewesen. Dabei wären die Europäer gerade mit diesem Airbus erstmals in der Lage gewesen, das Monopol der US-Amerikaner in einer Schlüsselindustrie zu brechen. Umgekehrt hätte ein weiterer Ausbau des US-Monopols die totale Abhängigkeit am Himmel bedeutet. „Damit wären auch Hightech-Jobs in der europäischen Luftfahrt künftig nicht mehr denkbar und nicht zu halten gewesen.“
„Ich hab niemanden bestochen“
Die einzige Chance, Fuß zu fassen, sei der nordamerikanische Markt gewesen. „Denn nur dort sind die großen internationalen Fluggesellschaften, die einen großen Bedarf an Flugzeugen haben.“ Bevor Schreiber dann die Details des Projektes „Trojanisches Pferd“ erklärt, wartet er, der doch als Schmiergeldvermittler par excellence gilt, noch mit einer überraschenden Erklärung auf: „Ich kann ehrenwörtlich versichern, dass kein Politiker bei diesem Zustandekommen bestochen wurde! Jedenfalls nicht von mir. Ich weiß auch nicht, dass irgendjemand anders bestochen hat.“ Das FBI sah das immer anders, warf der kanadischen Staatspolizei vor, die Ermittlungen nicht hartnäckig genug betrieben zu haben.
Der clevere Vermittler merkt sofort, dass sein Gegenüber wenig geneigt ist, dieser Beteuerung zu glauben, und erläutert, dass das nicht heißt, dass nicht trotzdem ganz erhebliche Summen geflossen sind. Im Big Business ist dann freilich nicht von Schmiergeld die Rede, sondern vornehm von „Kommissionen“.Und diese würden eben an so genannte Consultants oder Berater im Ausland bezahlt. „Damit ist aber die steuerliche Abzugsfähigkeit ganz einwandfrei geklärt.“ Genau diese steuerliche Abzugsfähigkeit werde in seinem Verfahren noch eine ganz wesentliche Rolle spielen, kündigt Schreiber an.
Um den Handel mit den Flugzeugen verstehen zu können, muss man über eine technische Information verfügen, die die Anzahl der Triebwerke betrifft. Der Airbus A 300 oder der A 310 waren zweistrahlige Flugzeuge, und zweistrahlige Flugzeuge durften damals nicht über den Ozean fliegen. Demzufolge konnte man solche Maschinen nur verkaufen für Flüge übers Festland. Also musste man für den Absatz ein Land mit einer großen Landmasse als Markt auftun, eines, in dem viele Flugzeuge gebraucht werden. „Und das waren die Vereinigten Staaten, wer denn sonst? Russland kam ja kaum in Frage.“
In dieser Phase kommt Max Ward mit seiner kleinen, aber recht beliebten Fluglinie Wardair ins Spiel. Ward war, wie sollte es anders sein, ein guter Bekannter von Karlheinz Schreiber. „Der Mann hat als Buschpilot angefangen, Leute zu versorgen, war ein ganz begeisterter Pilot und ein Airbusfan.“ Gebrauchen konnte dieser Max Ward aber den Airbus trotzdem nicht, weil er nur eine Lizenz für Flüge übers Meer, nach Hawaii und Europa hatte. Dann aber habe die konservative Regierung Kanadas die Luftfahrt privatisiert. Wardair bekam eine der neuen Inlandsfluglizenzen, und die bei den Kanadiern sehr beliebte Firma war für das Airbuskonsortium und vor allem für Franz Josef Strauß und Karlheinz Schreiber mit einem Mal in eine zentrale Rolle geschlüpft.
„Der Vorschlag, den ich damals Franz Josef Strauß gemacht habe, war ganz simpel: Wir müssen diesen Max Ward unterstützen. Denn wenn der den Airbus kauft und damit gegen Air Canada konkurriert – vom Fluggerät her –, dann gewinnt er automatisch.“ Air Canada sei damals mit einem dreistrahligen Flugzeug, die Boeing 727, geflogen, von der man gewusst habe, „das war der größte Kerosin-Fresser der Welt“. Man sei sich absolut sicher gewesen, dass Airbus mit einem zweistrahligen Triebwerk gegen diese Boeing mit einer viel größeren Passagierkapazität, aber auch mit einer viel größeren Cargokapazität wirtschaftlich einen unvorstellbaren Vorteil hatte. Die anderen Fluggesellschaften seien dann gezwungen, ein ähnliches Gerät zu kaufen.
In der kanadischen Presse war damals der Airbus-Aufsichtsratsvorsitzender Strauß bezüglich Schreiber mit den Worten zitiert worden: „Entweder du bist ein absolutes Genie oder ein Idiot.“ Bei diesem Satz hält es Schreiber fast nicht mehr auf der Couch. Er lacht, bis ihm die Tränen übers Gesicht laufen, klopft sich selbstzufrieden auf die Schenkel und meint, nach Luft ringend: „Strauß hat aber auch ergänzt, das liege beides oft ganz nah beisammen.“
Boeing-Bosse ausgebootet
Es sind diese Momente, in denen zumindest ansatzweise deutlich wird, warum Schreiber immer wieder heftig dazwischenfunkt aus seinem Domizil im fernen Kanada. Warum er mitunter derart heftig poltert, dass sich viele fragen, ob dieser Mann denn auch nur einen Funken glaubwürdig sei. Die Ignoranz im Umgang mit seinen Leistungen, und nichts anderes sei das, was in Deutschland passiere, treibt ihm immer wieder die Zornesröte ins Gesicht. Und es dauert eine Weile, bis der Mann die Fassung wiedererlangt, um das Projekt „Trojanisches Pferd“ weiter zu erläutern.
Das Problem sei gewesen, dass dieser Max Ward nicht gerade gut bei Kasse war. Im europäischen Airbuskonsortium sei heftigst darüber gestritten worden, wer die Ausfallbürgschaften übernimmt, aber Strauß habe erreicht, dass der Deal mit Wardair zustande kam. „Man hat schließlich Preise gemacht, die fraglos hart an der Grenze waren.“ Um die 40 Prozent Nachlass sollen es gewesen sein. Schreiber meint auf eine entsprechende Zwischenfrage nur, „es waren verrückte Preise, wie gesagt, total verrückte Preise“. Wie viel an „Kommissionen“ an wen geflossen sind, will er nicht sagen. „Die deutschen Ermittler geht das nichts an, dieses Geschäft hat Frankreich mit Kanada gemacht.“
Stolz verkündet Mr. Schreiber, Wardair habe damals mit einem Mal eine viel günstigere Kostenstruktur als Air Canada und andere Fluggesellschaften gehabt, sodass diese Firmen tatsächlich gezwungen gewesen wären, „gegen den Airbus A 310 zu rechnen. Und da gab es nur zwei Geräte: das eine war der A 320, den dann Air Canada gekauft hat. Der war noch günstiger im Preis-Leistungs-Verhältnis als der A 310. Und dazu von Boeing die 757, was jetzt die 767 ist.“ Die Kanadier hätten drei Kommissionen gebildet. Diese kamen zu der Erkenntnis, das geeignete Flugzeug sei der A 320.
„Da wurde von den Amerikanern auf allen Levels, auf jeder Ebene, Druck gemacht, auf keinen Fall diesen Airbus zu kaufen. Das war damals in den Achtzigerjahren richtig dramatisch“, erinnert sich Schreiber an die Reaktionen. Die USA hätten massive Vorwürfe gegen Airbus erhoben, es sei gegen die Gatt-Vereinbarungen verstoßen worden. Hintergrund war, dass „Aerospaciale“ aus Frankreich Aufträge an die kanadische Flugzeugbaufirma „Canadair“ gegeben hatte, was die Amerikaner als unzulässige Verknüpfung sahen und was schließlich dazu führte, dass die USA sogar mit einem Wirtschaftsboykott gedroht hätten. Und man dürfe eines nicht vergessen, meint Airbusvermittler Schreiber: „82 Prozent des kanadischen Außenhandels werden mit den USA getätigt, sodass da eine wirtschaftliche Abhängigkeit besteht, die enorm ist.“
Strauß’ Blitzbesuch bei Reagan
Letztendlich habe alles Bemühen der Regierung und des FBI, vor allem aber der Boeing-Bosse, nichts genutzt. Und zwar deshalb nicht, weil Boeing der Aufforderung der kanadischen Bundespolizei nicht nachkam, Anzeige zu erstatten. In einem solchen Fall würden sie wie Schmuddel-Konkurrenten dastehen, hätten die Boeing-Leute erwidert. Gut, Strauß habe deswegen sogar mal zu Ronald Reagan fliegen müssen. Aber nach und nach hätten auch US-Fluggesellschaften, wie etwa North-West-Orient, nachgezogen. Sie hätten damals 110 Airbusflugzeuge gekauft, der Markt war aufgebrochen und Airbus gerettet.
An dieser Stelle erklärt der mysteriöse Herr Schreiber dem Reporter, warum er sich so sicher ist, nicht ausgeliefert und erst recht nicht verurteilt zu werden. „Niemand hat in den letzten 35 Jahren, bevor dieses Theater losging, etwas von mir gewusst. Und die meisten Dinge, die ich weiß, sind ja nicht angetan, dass sie hinausposaunt werden.“ Quasi als eines von vielen Beweisstücken, die er nach und nach noch vorlegen will, legt er ein so genanntes „Settlement Agreement“ im Fall Brian Mulroney auf den Tisch, jenes Brian Mulroney, der bekanntlich von ihm bestochen worden sein soll. „Die kanadische Regierung hat Mr. Mulroney Schadenersatz in Höhe von zweieinhalb Millionen Dollar zugestanden, wegen der falschen Verdächtigungen in Sachen Airbus“, berichtet Schreiber. Er selbst habe ein Entschuldigungsschreiben der Regierung bekommen, sei aber damit nicht zufrieden, sondern klage gegen die Regierung: auf 35 Millionen Dollar Schadenersatz. Die gleiche Summe will er vom Fernsehsender CBC: wegen deren angeblich völlig falschen Unterstellungen im Zusammenhang mit dem Airbusgeschäft.
Die in Kanada anhängigen Gerichtsverfahren seien im Übrigen auch einer der Hauptgründe für seinen Aufenthalt in Nordamerika. Darüber hinaus baut Schreiber eine Kette von 250 Restaurants in Kanada und den USA auf. In seinem Anti-Junkfood-Programm sieht er eine immense Wachstumschance. Aber allzu viel will Schreiber darüber noch nicht reden. Lieber spricht er über die Gerichtsverfahren, in denen der gebürtige Harzer weit mehr auf das angelsächsische als das deutsche Recht setzt. Wenn erst mal die ersten Verfahren in Kanada gewonnen seien, würde sich das auch auf das deutsche Hauptverfahren auswirken, gibt er sich zuversichtlich.
Entspannt, als hätte er ein wichtiges Kapitel in seinem Buch zu Ende diktiert, lehnt er sich zurück und meint: „So, jetzt wissen Sie, wie diese Geschichte mit Airbus gelaufen ist und warum die Augsburger mit dieser dämlichen Anklage so richtig gegen die Wand rennen werden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen