Endlich der Welt Flagge zeigen

Die Vorfahren der heutigen Aborigines, der australischen Ureinwohner, kamen vor etwa vierzigtausend Jahren aus Südostasien nach Australien. Sie bewohnten als nomadische Jäger und Sammler vor allem die Nord- und Ostküste des fünften Kontinents.

Die Zahl der Aborigines und Torres Strait Islanders (Aborigines papuanischer Abstammung) zu Beginn der europäischen Kolonisierung Ende des 18. Jahrhunderts wird auf bis zu 1,25 Millionen geschätzt. In der Folgezeit starben Hunderttausende durch Massaker, Vertreibungen und eingeschleppte Krankheiten. Die meisten ihrer etwa 260 miteinander verwandten Sprachen sind ausgestorben, einige werden nur noch von wenigen hundert Menschen gesprochen.

1938 fand zum 150. Jahrestag der Kolonisierung Australiens der erste organisierte Protest von Aborigines aus allen Landesteilen statt. Die Ureinwohner waren praktisch rechtlos und durften ohne Genehmigung nicht einmal ihre Reservate verlassen. Erst 1967 wurden die diskriminierenden Passagen aus der Verfassung gestrichen. Aborigines konnten australische Staatsbürger werden.

Bis in die frühen Siebzigerjahre wurden Aborigines-Kinder gewaltsam von ihren Familien getrennt und in Umerziehungslagern oder Missionsstationen systematisch ihren Traditionen entfremdet. Ziel dieser Politik war ihre „Wegzüchtung“ oder Europäisierung. 1960 lebten nur noch rund 7.500 Aborigines in ihrer traditionellen Lebensweise.

Erst 1992 erklärte das Verfassungsgericht das Prinzip des Terra Nullius für ungültig. Bis dahin wurde behauptet, die Europäer hätten ein unbewohntes Land vorgefunden. Nun konnten Aborigines unter Umständen Besitzansprüche auf ihr Land geltend machen. 1998 scheiterte der Versuch der konservativen Regierung, die Landrechte der Aborigines zu beschneiden.

Bis heute haben die rund vierhunderttausend Aborigines eine schwache politische Lobby, sind verarmt und vielfach von staatlicher Unterstützung abhängig. Ihre Lebenserwartung liegt neunzehn Jahre unter dem australischen Durchschnitt, die Kindersterblichkeit ist doppelt so hoch.

Die Olympischen Spiele in Sydney wollen die Aborigines-Vereinigungen nutzen, um einen Teil des internationalen Medieninteresses auf ihre Anliegen zu lenken. Unter anderem soll für die Dauer der Spiele in Sydney eine eigene „Botschaft“ der Aborigines eingerichtet werden. An sechs Stellen in der Stadt wird ihre Flagge wehen, die aus einem schwarzen und einem roten Querstreifen mit einem gelben Kreis in der Mitte, die Sonne symbolisierend, besteht.

Zuschauer dürfen auch im Stadion diese Flagge zeigen – Sportler nicht, denn die olympischen Regeln verbieten jede „politische Propaganda“. Leichtathletiklegende Cathy Freeman, die sich bewusst als Angehörige der Aborigines versteht, bekam deshalb schon früher Ärger: Als sie nach ihrem Sieg über 400 Meter bei den Commonwealth Games 1994 eine Ehrenrunde mit der Aboriginesflagge drehte, wurde sie prompt von den Sportfunktionären zurechtgewiesen.

Dass Freeman später dennoch wiederholt Flagge zeigte, machte sie zu einem Symbol für ein neues Selbstbewusstsein der Aborigines. Zurückhaltender geworden, erklärt sie heute, Politik habe auf dem Sportplatz nichts zu suchen.

Auch bei den Olympischen Spielen hat es lange gedauert, bis die Aborigines Anerkennung fanden. Die erste Goldmedaille holte Nova Peris-Kneebone mit der australischen Frauenhockeymannschaft bei den Spielen von Atlanta 1996. CHRISTOPH DREYER