: Gefühl der Unruhe
Der Bericht der drei Weisen ist in insgesamt 119 Punkte gegliedert. Die letzten von ihnen sind die Schlussfolgerungen der Untersuchung. Wir haben sie an den Anfang unserer Dokumentation gestellt.
In unserer Auswahl haben wir Wert gelegt auf die Stellungnahmen zur österreichischen Regierung und zur Haltung und Einschätzung der FPÖ. Der Bericht lag uns in seiner spanischen Fassung vor.
117. Wir empfehlen mit Nachdruck die Entwicklung eines Mechanismus innerhalb der Europäischen Union, um das konkrete Handeln der einzelnen Mitgliedsstaaten der Union hinsichtlich der gemeinsamen europäischen Werte zu kontrollieren und zu beurteilen. Deshalb sind wir dafür, in den Artikel 7 des Vertrages der EU ein Procedere zur Vorbeugung und Überwachung einzuführen, um somit von Anfang an einer Situation, wie der, in der Österreich zurzeit steckt, etwas entgegensetzen zu können. Dies würde die grundsätzliche Verbundenheit der EU mit den gemeinsamen europäischen Werten unterstreichen. Ein solcher Mechanismus würde auch einen offenen und konfliktfreien Dialog mit dem betroffenen Mitgliedsstaat ermöglichen.
118. Mittels dieses Kontrollverfahrens wäre der Rat in der Lage zu überwachen, zu bewerten und hinsichtlich der Bewertung der spezifischen Entwicklung in einem Land der Union konkrete Schritte einzuleiten. Zusammen mit dem Kontrollverfahren müsste ein System der Vorsorge geschaffen werden, um mit Informations- und Aufklärungsarbeit gegen jede Form direkter und indirekter Diskriminierung oder Fremdenfeindlichkeit reagieren zu können.
119. Es ist wichtig, dass innerhalb der EU-Institutionen institutionelle Mechanismen zur Verwirklichung dieser Ziele geschaffen werden. Diese institutionellen Mechanismen können die Schaffung eines Menschenrechtsbüros im Rat beinhalten, der dem Europäischen Rat Bericht erstattet, die Ernennung eines Kommissars für Menschenrechte innerhalb der Europäischen Kommission, und im Besonderen die Erweiterung der Aktivitäten, des Budgets und des Status der Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, die ihren Sitz in Wien hat, so dass eine regelrechte Menschenrechtsagentur der EU geschaffen werden kann.
Sanktion sollen beendet werden
Wir befinden, dass die österreichische Regierung so aktiv wie der Präsident der Republik Äußerungen mit xenophobem oder diffamatorischem Charakter verurteilen müsste. Die FPÖ hat versucht, Kritik zu bekämpfen indem sie in regelmäßiger Form Verleumdungsklagen gegen ihre Kritiker eingebracht hat.
Die Minister der FPÖ haben im Allgemeinen ihre Verpflichtungen in der Regierung in Übereinstimmung mit den Werten der EU ausgeübt. Es ist nicht auszuschließen, dass im Lauf der Zeit neue Strömungen innerhalb der Partei aufkommen. Die Zukunft wird uns zeigen, ob dies eintritt.
Die Entwicklung der politischen Natur der FPÖ von einer Rechtspartei mit extremistischen Aspekten zu einer verantwortungsvollen Regierungspartei kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Trotzdem ist diese Veränderung nicht ausreichend klar erkennbar, da die aktuelle Regierung erst relativ kurze Zeit im Amt ist.
Unser Eindruck ist, dass im Allgemeinen gegen die Tätigkeit der FPÖ-Minister in der Regierung seit Februar 2000 keine Einwendungen zu machen sind, außer einigen Äußerungen des Justizministers, welche einige Unruhe hervorgerufen haben.
In Übereinstimmung mit unserem Mandat und den geführten Untersuchungen sind wir zu dem Schluss gekommen, dass die österreichische Regierung ihre Verpflichtungen im Sinne der europäischen Werte erfüllt. In einigen Bereichen, vor allem bezüglich der Situation der Minderheiten in Österreich, können die österreichischen Standards als höher als die anderer EU-Mitgliedsstaaten bewertet werden.
. . . Unserer Meinung nach (wäre) eine Aufrechterhaltung der Sanktionen der 14 Mitgliedsstaaten kontraproduktiv, und sie sollen deshalb beendet werden. Die Maßnahmen haben in Österreich nationalistische Gefühle erweckt, vor allem in jenen Fällen, wo sie missverständlicherweise als Sanktionen gegen die österreichische Bevölkerung interpretiert wurden.
FPÖ mit „radikalen Zügen“
88. In der österreichischen Politik ist der Gebrauch von völlig zweideutiger Sprache durch die FPÖ zum Normalzustand geworden. Herausragende Führer der FPÖ haben in der Vergangenheit immer wieder Aussagen getroffen, die als fremdenfeindlich oder rassistisch interpretiert werden können. Für viele außen stehende Beobachter haben diese üblichen Ausdrücke der FPÖ nationalistische Inhalte, und in Einzelfällen nähern sie sich gar typisch nationalsozialistischen Inhalten oder den Erklärungen, die die Geschichte jener Periode verharmlosen wollen, an.
89. Es ist erwiesen, dass die FPÖ keine einzige Maßnahme gegen Parteimitglieder ergriffen hat, die in der Öffentlichkeit ausländerfeindliche Äußerungen getätigt haben. . . .
91. Nach dem, was wir feststellen konnten, haben die Minister der FPÖ in der Bundesregierung seit der Regierungsbildung keine solche Ausdrücke gebraucht.
92. Die FPÖ wurde immer wieder als „rechtspopulistische Partei mit radikalen Zügen“ beschrieben. Wir kamen zu der Einschätzung, dass dies auch noch zutrifft, nachdem die Partei der Bundesregierung beigetreten ist. Dies ist zweifelsohne beunruhigend. Denn die Regierungen sind die Staatsorgane, die die direkte Verantwortung dafür tragen, die positiven staatlichen Verpflichtungen hinsichtlich Schutz und Förderung der Menschenrechte und der demokratischen Freiheiten umzusetzen. Sie müssen von daher gegen jedwede ethnische oder rassistische Diskriminierung vorgehen
93. Ein Hauptproblem sind die Versuche der FPÖ, politische Gegner, welche die österreichische Regierung kritisieren, zum Schweigen zu bringen oder sogar zu kriminalisieren. In diesem Zusammenhang steht auch der fortwährende Gebrauch von Verleumdungsklagen gegen Personen, welche die FPÖ oder die Aussagen ihrer Parteiführer kritisiert haben . . .
Schwere Bedrohung
95. Wir befinden, dass die Einstellung des Justizministers als Regierungsmitglied nicht konform mit seinen Verpflichtungen als Staatsorgan ist, als welches er verpflichtet ist, die Verfassungsstruktur der EU wie im Art. 6 des Unionsvertrages festgehalten, zu respektieren. Alle Regierungen der EU haben spezifische Verpflichtungen, die sich aus den Prinzipien der Demokratie und Meinungsfreiheit ableiten. Dies bedingt, dass jeder Versuch einer Regierung oder eines ihrer Mitglieder demokratische Kritik zu eliminieren, als schwere Bedrohung der im Art. 6 des Unionsvertrages festgehaltenen fundamentalen Prinzipien und der gesamteuropäischen Werte angesehen werden kann . . .
96. . . . Obwohl wir glauben, dass die politische Opposition in Österreich sich nicht in ihrer Arbeit eingeschränkt fühlt, wurde uns mitgeteilt, dass Personen, welche nicht einer wichtigen Gruppierung angehören, sich unsicher über die Konsequenzen ihrer offenen Kritik an der Regierung fühlen können.
97. Dieses Gefühl der Unruhe, auf das wir uns bezogen haben, wurde offensichtlich verstärkt durch das, was man uns als durchgehende Strategie des Einsatzes der Gerichte geschildert hat, um jede scharfe Kritik an der FPÖ zu unterbinden. Die Anführer der FPÖ haben die Gerichte in den letzten Jahren gewohnheitsmäßig eingesetzt. Gemäß den Informationen, die uns geliefert wurden, befinden wir uns gegenwärtig auf einem Höhepunkt, was die Anzahl der Klagen von FPÖ-Politikern betrifft.
98. Erfahrungen in verschiedenen Ländern zeigen, dass der Gebrauch von Verleumdungsklagen in einem politischen Kontext leicht zur ungerechtfertigten Einschränkung der Meinungsfreiheit und der Äußerung von Kritik gegenüber der Regierung werden kann. Aus diesem Grund haben der Oberste Gerichtshof der USA, das deutsche Bundesverfassungsgericht und der Menschenrechtsgerichtshof in einer Reihe interessanter Urteile befunden, dass der Einsatz von Verleumdungsklagen zum Schutz bestimmter Politiker eine Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und der Pressefreiheit darstellt. Mit seiner Jurisdiktion der letzten 20 Jahre hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof die Situation so gedeutet.
ÜBERSETZUNG AUS DEM SPANISCHEN: REDAKTION DER STANDARD/WIEN, RALF LEONHARD/WIEN, REINER WANDLER/MADRID
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