: Die fünfte Gewalt
Der Reporter schreibt keine Reportagen mehr, dem Politiker wird Ortswechsel nahe gelegt
aus Königs Wusterhausen HEIKE HAARHOFF
Das Namensschild am Gittertor hat er entfernt. Man muss die Leute ja nicht mit dem Kopf darauf stoßen, wer hier wohnt. Die Klingel ist noch da, erfüllt aber ihren Zweck nicht mehr: Die beiden Schäferhundmischlinge im Garten schlagen schneller und lauter an, beruhigenderweise auch dann, wenn Besuch kommt, der lieber unangekündigt ins Haus schliche und ihn dort überraschen würde. „Mit einer gewissen Gefährdung leben wir alle“, sagt Stefan Ludwig, sperrt seine knurrenden Beschützer in den Zwinger und führt zur Terrasse.
Mittags erst waren die Beamten vom Landeskriminalamt Brandenburg zu Gast bei ihm in Königs Wusterhausen, einer 17.500-Einwohner-Stadt eine halbe Zugstunde südlich von Berlin. Routinemäßig. „Dabei“, sagt Stefan Ludwig, „ist es momentan ziemlich ruhig.“ So ruhig, wie es sein kann, wenn man 33 und Abgeordneter der PDS im Potsdamer Landtag ist, sich gegen Rechtsextreme engagiert und deswegen ständig damit rechnet, irgendwann irgendwo überfallen zu werden: „Wobei ich sagen muss, dass die Attacken gegen Leute wie mich bislang meist verbal und seltener handgreiflich waren.“ So, als gehöre das zum Berufsrisiko.
Da werden Stadtverordnete von der NPD angepöbelt. Da kursiert ein „offener Brief“, in dem Ausländerhass propagiert wird. Da schlägt Mitte Juli ein Maskierter, „ein Neofaschist“, präzisieren PDS und Antifa, die PDS-Gebietsvorständlerin Heike B. vor ihrer Wohnung krankenhausreif. Da lebt der Redaktionsleiter der Lokalzeitung „bewusst nicht in Königs Wusterhausen“ und fährt nicht mehr mit der S-Bahn zur Arbeit, „weil der Bahnhof besonders gefährlich ist“. Da sieht sich der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) genötigt, die örtliche Polizei seit Ostern durch eine Sondereinheit gegen Randalierer und Gewalttäter zu unterstützen.
Der Bielefelder Rechtsextremismusforscher Wilhelm Heitmeyer warnt: „Wenn aber gewalttätige Gruppen denen, die sie als Täter ausmachen, inzwischen glaubhaft Rache androhen, dann ist dies eine andere Qualität von Rechtsradikalismus als das, was Politiker dafür halten.“ Dann gibt es Orte, die man nicht aufsucht, und Themen, über die man nicht berichtet, und Bündnisse, die man nicht schließt. Dann bedarf es vieler Anstrengung, damit der Druck auf einzelne nicht zur allgemeinen Einschüchterung führt. Dann heißt der Ort etwa Königs Wusterhausen, kurz KW.
Der Neujahrsgruß trug eine unmissverständliche Botschaft: Sie freuten sich schon auf 2000, ließen die Unterzeichnenden „United Skins KW“, eine Neonazitruppe der gewaltbereiten Sorte, Stefan Ludwig wissen. Der Kampf werde fortgesetzt. Ihre Postkarte verzierten sie mit einem Aufkleber der schwedischen „Nationalsozialistischen Front“. Auf deren Konto gehen Bankraub, Anschläge und Drohungen gegen Journalisten, Polizisten, Justizangestellte. Seither fährt das LKA vor Stefan Ludwigs Haus Streife.
Ihre „Solidarität“ mit dem bedrohten PDS-Abgeordneten mochten Mitglieder aller demokratischen Parteien in KW umgehend bekunden. Schwieriger wurde es, als die PDS im Februar ein parteiübergreifendes „Bündnis gegen Neonazis“ anregte. Die CDU sah „für eine erneute Beratung keinerlei Anlass“. Schließlich habe man bereits 1998 vor der Kommunalwahl eine Erklärung gegen Rechtsextremismus unterzeichnet. Die SPD warb schriftlich um Verständnis, dass auch sie absagen müsse: „Der zeitliche Aufwand, eine Kompromiss-Erklärung zu erzielen, war sehr hoch.“
Schließlich ist KW eine Kleinstadt. Schließlich kennt jeder jeden. Schließlich überlegt man sich, wie übel es wäre, wenn die Grüße der United Skins künftig an die eigene Adresse gingen. Denn da soll man sich nichts vormachen: Jeder, der bedroht wurde, zog Konsequenzen. Deren Anfang: Stefan Ludwig umfährt jetzt die Tankstelle am Rand des Plattenbaugebiets großräumig – „Zecken sollten sich da nicht blicken lassen“ – und trägt so ungewollt zum Vorwurf bei, die Politik verhindere nicht, dass Neonazis das Straßenbild beherrschen. Deren Ende: „Die Rechtsextremen bedrohen die Gesellschaft im Kern.“
Ob er nicht zur eigenen Sicherheit wegziehen wolle aus KW, hat ihn das LKA gefragt. Aber für Stefan Ludwig ist klar: „Wenn ich das Handtuch werfe, werden sie es bei anderen probieren.“
Seine Annahme ist berechtigt. Drohungen und Angriffe gegen Politiker, Journalisten, Polizisten und Richter, Personen also, die sich berufsbedingt mit Rechtsextremismus beschäftigen, gibt es allerorten: Im brandenburgischen Eberswalde schlagen und treten im August 1999 Rechtsextremisten auf einen Polizisten in Zivil ein, weil der sie auf ihre Nazi-Musik angesprochen hatte. In Coburg verliert 1999 ein Lokalredakteur seinen Job, nachdem er über den Überfall eines Neonazis auf einen Behinderten berichtet hat. 1997 ziert über mehrere Monate alle einschlägigen rechten Publikationen der Republik der Steckbrief eines Journalisten, der unter dem Pseudonym Anton Maegerle berichtet. Im sächsischen Bautzen wird ein Journalist 1994 von Besuchern eines Gerichtsprozesses gegen fünf Neonazis bedroht, wenige Tage nach der Gerichtsverhandlung geht auf seinem Anrufbeantworter eine anonyme Morddrohung ein. Im Mai 1993 wird ein ZDF-Journalist in Berlin von einem Skinhead überfallen, nachdem er einen Film über Rechtsradikale gedreht hat. Auf einer Autobahnraststätte in Mecklenburg-Vorpommern überfallen 1991 drei Neonazis den Berliner Journalisten und Rechtsextremismusexperten Klaus Farin.
Alles nur bedauernswerte Einzelfälle? Nein, entgegnet die schwedische Tageszeitung Dagens Nyheter: „Journalisten werden nicht als Einzelpersonen wahrgenommen, sondern als Repräsentanten der demokratischen Gesellschaftsordnung.“ Wenn das stimmt, dann ist Königs Wusterhausen, was die Demokratie angeht, in akuter Gefahr.
Frank Pawlowski serviert Kaffee am Konferenztisch der Märkischen Allgemeinen Zeitung und pro forma Milchpulver – „ich hoffe, das ist okay, ich habe auch nichts anderes“. Bis hier ist das Klischee vom Lokaljournalisten perfekt. Ab hier stimmt leider nichts mehr. Wenn Frank Pawlowski das Redaktionsgebäude verlässt und nicht gerade zu einer Pressekonferenz eilt, sondern so durch die Straßen von Königs Wusterhausen schlendert, dann ist er nicht mehr der Lokalchef, sondern im Zweifel der „Nigger“, der „Neger“. Der vor 36 Jahren in Berlin, Hauptstadt der DDR, geborene deutsche Sohn eines binationalen Paars, fährt nicht mehr S-Bahn, „seit ich da vor Jahren nahe Oranienburg so rüde von Skinheads attackiert wurde“. Ein öffentliches Verkehrsmittel lässt sich durch das eigene Auto ersetzen, eine Reportage dagegen scheitert, wenn ihr die Anschauung fehlt. Also findet die Berichterstattung über bestimmte Stadtteile, ja selbst über bestimmte Dorffeste von KW nicht mehr statt, jedenfalls nicht von vor Ort, jedenfalls nicht aus der Feder von Frank Pawlowski.
„Das Schlüsselerlebnis war Weihnachten vor ein paar Jahren.“ Frank Pawlowski wollte einen netten kleinen Artikel schreiben über Leute, die die Feiertage in der Kneipe verbringen, und machte sich auf in die Plattensiedlung. Die Glatzen, auf die er traf, „sahen mich so feindselig an, dass ich dachte, wenn der Wirt mich jetzt nicht schützt, dann bin ich geliefert“. Es war sein letzter Besuch dort. Dass und wie die Glatzen organisiert sind, weiß Frank Pawlowski gut. Allein: Er schreibt es nicht.
Für das, was man vierte Gewalt nennt, ist das fatal. Denn wenn die MAZ nicht mehr über bestimmte lokalpolitische Entwicklungen berichtet, dann werden diese nicht mehr nur nicht geächtet, dann ist es, als gäbe es sie nicht. Denn die Märkische ist die große Konkurrenzlose vor Ort; der Königs Wusterhausener Lokalteil der Berliner Morgenpost erreicht nur seine Abonnenten, nicht aber die Kioskkäufer, und im örtlichen Anzeigenblatt, das immerhin wöchentlich in alle Haushalte kommt, reduziert sich politische Berichterstattung auf Beschreibungen der schönen heilen Regionalwelt. Wer nach Gründen fragt, dem wird unterstellt, man wolle doch bloß KW in eine rechte Ecke stellen und die Redaktion gleich mit.
Es gab da diesen Artikel über einen Nazi-Aussteiger, „eine wunderbare Geschichte“, sagt Frank Pawlowski, der Typ war gerade aus dem Knast raus, und Pawlowskis Kollege, Spitzenarbeit, hatte ihn tatsächlich zu einem Interview gekriegt. Aber dann bekam der Ex-Nazi kalte Füße: Mit vollem Namen mochte er nicht in der Zeitung erscheinen. Auch Frank Pawlowski kamen Zweifel: In einer Kleinstadt ist jeder identifizierbar, selbst wenn man den Namen anonymisiert. Und die rechte Szene würde es sicher nicht spaßig finden, Insiderinformationen plötzlich in der Zeitung zu lesen. Der Aussteiger wäre in Gefahr – und der Redakteur. „Wir haben den Artikel nicht gedruckt“, sagt Frank Pawlowski. Als Lokalchef trage er schließlich Verantwortung für seine Mitarbeiter.
Es ist eine Art Selbstzensur, die er da betreibt, „Schere im Kopf“ heißt das in Journalistenseminaren: von sich aus Informationen unterdrücken aus Angst vor Repression. Aber da ging es um die Ungnade seitens des Bürgermeisters, des Schützenvereins, der Handwerkskammer. Es ging nicht um die Gefahr für das eigene Leben.
Offiziell sind zwar noch keine Drohungen eingegangen. Aber die NPD-Funktionäre marschieren schon mal zu viert in die Redaktion und beschweren sich, dass die Kameradschaft Wildau zu wenig positive Erwähnung findet. Als Frank Pawlowski es einmal wagte, sie zu fragen, was passiere, wenn er ihnen nachts an der S-Bahn begegne, lachten sie: „Wir persönlich würden Ihnen natürlich nichts tun. Aber für Ihre Sicherheit könnten wir nicht garantieren.“
Als die NPD im Juni in KW ihre Großdemonstration abhielt, ging Frank Pawlowski bewusst nicht hin um darüber zu berichten. „Man nimmt sich zurück, man will sich das nicht antun.“
Er sei „unpolitisch“ und „positionslos“ und ein „angepasstes Weichei“, heißt es dann schnell in der Stadt über einen Journalisten, der sich so verhält.
Man könnte auch sagen: Er hat Angst aufzufallen. Denn für Auffälliges hat Königs Wusterhausen bislang wenig Verständnis gezeigt: Was läuft der Neger hier auch nachts rum, hieß es über den Kameruner, der unter den Augen von vier tatenlos zusehenden Taxifahrern im September 1998 von Skinheads durch die Stadt gehetzt und geschlagen wurde. Was schreibt der Neger auch so was, würde es vielleicht über Frank Pawlowski heißen. Also schreibt der Neger wenig Provokantes und überlässt es dem überregionalen Spiegel, Enthüllungen zu bringen, zuletzt über den V-Mann aus KW, der jahrelang für den Landesverfassungsschutz arbeitete. Um trotz allem das Gesicht nicht zu verlieren, erklärt er: „Wir haben halt keine Zeit für intensive Recherche.“
Nein, sagt Polizeihauptkommissar Klaus Döbert in seiner Amtsstube, bedroht habe er sich in 22 Berufsjahren noch nie gefühlt. Sorgen macht ihm eher die Prävention, die so häufig auf der Strecke bleibt. Bleiben muss: Der Schutzbereich Dahme-Spreewald ist fast so groß wie das Saarland. Vier Autos stehen den Polizisten zur Verfügung, eins für die Stadt, eins für das Land und die vielen Waldgebiete, eins für die A 10, eins für die A 13. An einem Samstag weist das Protokoll schon mal 31 Einsätze aus, die Hälfte davon Ruhestörungen, Nachbarschaftsgeschichten. „Wie“, fragt Klaus Döbert, „wollen Sie mit so wenigen Fahrzeugen und so weiten Entfernungen da immer überall präsent sein?“ Wie verhindern, dass Neonazis unbehelligt rumlaufen können?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen