: Solidarität für Kampfgenossen
Beim Aktionstag gegen Rassismus gab es krude Ost-West-Diskussionen und Einmütigkeit zur „Siegerjustiz“
Hitzig ging es vor dem Stand der Initiative gegen Abschiebehaft zu. Dort forderte ein Mann „Geld für unsere Kinder“ statt für Asylbewerber mit der Begründung „Wir brauchen Sicherheit“. Als ihn ein vorbeikommender PDSler fragte „Sicherheit vor wem?“, antwortete dieser: „Ist doch egal.“ Nachdem der PDSler versucht hatte, dem Westfalen zu erklären, dass es um etwas ganz anderes gehe – „Diepgen hat für viel Geld sein Büro samt Badewanne umgebaut“ – entspann sich eine krude Ost-West-Diskussion. „Warum habt Ihr die D-Mark genommen?“, wollte der Westfale wissen. Da kam ein anderer Wessi des Wegs und fragte den PDSler vorwurfsvoll, was für ein Auto er fahre. Als dieser antwortete, „einen Wartburg“, verlangte er: „Zeigen Sie mir, wo der steht!“
Doch dazu kam es nicht. Denn eine Frau, die Fetzen der Diskussion aufschnappt hatte und beileibe nicht durchgeknallt aussah, rief plötzlich: „Macht doch ein KZ für Ossis!“ Traurig fragte ein vorbeikommender Mann: „Sind wir heute nicht gegen Rassismus?“
Gestern fand vor dem Roten Rathaus der „Aktionstag gegen Rassismus, Neonazismus und Krieg“ statt, der seit zehn Jahren zu den größten antifaschistischen Veranstaltungen in Berlin zählt. Tausende kamen, um an 120 Ständen linker und antifaschistischer Gruppen zu diskutieren, sich mit Informationsmaterial oder dem passenden Aufkleber oder T-Shirt einzudecken.
Meistens ging es äußerst familiär und einmütig zu. So waren sich die Mitarbeiter am Stand des „Solidaritätskomitees für die Opfer der politischen Verfolgung in Deutschland“ und viele Passanten einig, dass die andauernde Inhaftierung von Egon Krenz eine „Diskriminierung und Ausgrenzung von Bürgern der DDR“ sei. Viele nutzten die Gelegenheit, „Beileidsbekundungen“ für inhaftierte „Kampfgenossen“ zu unterschreiben. Ebenfalls viele Unterschriften sammelte der Bund der Antifaschisten gegen die in Weißensee geplante Umbenennung des Kulturhauses „Peter Edel“. Der 1983 verstorbene DDR-Schriftsteller war Jude und Antifaschist, aber auch Mitarbeiter der Staatssicherheit. „Das ist sicher seiner antifaschistischen Erfahrung geschuldet“, so ein Unterzeichner.
Andreas Nachama, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, der den Aktionstag eröffnete, kommentierte den Vorwurf, die Veranstaltung sei zu „linkslastig“: „Ich würde mir wünschen, dass viele, die nicht da sind, da wären.“ Von den etablierten Parteien waren nur die PDS – samt ihrem stellvertretenden Bundesvorsitzenden Dieter Dehm und der Berliner Landesvorsitzenden Petra Pau – und die Grünen – ohne Prominenz – vertreten.
Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepen (CDU), vor dessen Amtssitz Bettina Wegner sang und „Strategien gegen Rechtsextremismus“ diskutiert wurden, will sich heute Abend mit Vertretern aus Politik und Wirtschaft mit dem Thema beschäftigen. Sein Ziel: Ein „Zeichen gemeinsamer Ablehnung“ und eine „nüchterne Analyse“.B. BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA
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