: Der Angstgegner des Präsidenten
aus Belgrad ANDREJ IVANJI
Als er den randvollen Festsaal des Kongresszentrums „Sava“ in Belgrad betritt, kann er das Lampenfieber nicht verbergen. Der ekstatische Applaus, die Jubelrufe sind ihm sichtlich unangenehm. Scheu schaut er um sich, winkt grüßend mit der Hand und geht langsam die Treppe zur Bühne hinunter. „Rette Serbien, Vojislav!“ und „Wir sind mit dir!“ rufen ihm begeistert die anwesenden Menschen zu. Jedermann will ihm die Hand schütteln, zutraulich auf die Schulter klopfen, und dieser physische Kontakt ist ihm erst recht peinlich.
Vojislav Kostunica ist als Vorsitzender der Demokratischen Partei Serbiens (DSS) einen solchen Aufwand nicht gewöhnt. Doch nun kommt er als Präsidentenkandidat des Bündnisses von vereinigten neunzehn Oppositionsparteien (DOS), um dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević die Stirn zu bieten. Um einen „Vertrag mit dem Volk zu schließen“, mit allen anderen DOS-Kandidaten für das jugoslawische Bundesparlament und serbischen Kommunalvertretungen.
Kostunica, 56, Doktor der Rechtswissenschaften, hat nichts übrig für feurige Reden und bombastische Auftritte. Er gibt keine attraktiven Versprechen ab, die er nicht halten kann. Und er weicht seit einem Jahrzehnt keinen Millimeter von seinem Weg ab, nur um kurzfristig in der Wählergunst zu steigen. Das alles unterscheidet ihn von allen anderen serbischen Politikern. Seine Kritiker sagen, genau wegen dieser Eigenschaften sei er so lange in der dritten Reihe gewesen, ohne geringsten Einfluss auf die Ereignisse in Serbien.
So zeigt sich Kostunica auch an diesem Abend Anfang September vor dem Konvent der DOS. Er ist ein lausiger Redner. Seine Stimme zittert vor Aufregung. Und wenn er sich fasst, klingt er monoton, wie ein Professor, der ein langweiliges Pflichtfach vortragen muss. Doch nachdem er mit den Worten „Ich gelobe, den Verfall von Volk und Staat aufzuhalten“, seine eigentliche Ansprache beginnt, hören alle gebannt zu. Und glauben ihm jedes Wort.
Keine Sieger, keine Besiegten
„Ich gelobe, die Rückkehr Jugoslawiens in alle internationalen Organisationen zu bewirken“, setzt Kostunica fort, wobei er in der für ihn wichtigen Reihenfolge die OSZE, die UNO und die internationalen Finanzorganisationen nennt. Und er werde an jede mögliche Tür pochen, um die Rückkehr der Serben und aller Vertriebenen in den Kosovo zu erwirken. Er schwöre, es würde keinen „Revanchismus“, keine „Sieger und Besiegte“ nach einem Wahlsieg der Opposition geben, man müsse sich versöhnen „um weiter existieren zu können“. Er gelobt, für alte Menschen, für Kinder, für Benachteiligte zu sorgen, sagt aber ehrlich: „Einen Wohlstand über Nacht kann ich nicht versprechen.“
Und als er mit den Worten „Im Einklang mit den Gesetzen Gottes und der Menschen gelobe ich, dass ich mich mit aller Kraft bemühen werde, den Staat zu verändern, und dass ich es nicht zulassen werde, dass mich die Macht verändert“, sind die Zuhörer außer sich vor Aufregung, sie sind gerührt, sie sehen vor sich den Präsidenten, den sie haben wollen. Einige im Festsaal vergleichen sein Gelöbnis an das Volk Serbiens gar mit der berühmten Rede von Martin Luther King „I have a dream“, erinnern sich aber auch daran, dass der Reverend kurz danach ermordet wurde.
Vojislav Kostunica gründete 1992 die Demokratische Partei Serbiens, eine betont national orientierte Partei, die sich aber nachdrücklich für Demokratie und Menschenrechte einsetzt. Man bezeichnete ihn inmitten der serbischen nationalistischen, kriegerischen Euphorie als einen „Nationalisten mit Samthandschuhen“, oder einen „Salonnationalisten“. Als Nationalist und Antikommunist wurde er im ehemaligen Jugoslawien als Universitätsassistent gefeuert.
Wie aufrichtig sein Glaube an Demokratie und Gleichberechtigung aller Völker und nationaler Minderheiten ist, beweist auch, dass er als Präsidentenkandidat sowohl von den Ungarn in der Wojwodina als auch von den Muslimen im serbischen Sandžak unterstützt wird. Diese Unterstützung bescherte ihm die Angriffe der gleichgeschalteten staatlichen Medien, er sei zwar früher ein „guter, harter“ Serbe gewesen, habe sich nun aber auch an die Nato, die „Mörder serbischer Kinder“, verkauft. Nach seinen nationalen Gefühlen gefragt, erinnerte Kostunica einmal an den glühenden Patriotismus von De Gaulle, und dass nur dieser Algerien freigeben konnte, was man als eine Anspielung auf einen zukünftigen Status des Kosovo verstehen konnte.
Jahrelang blieb Kostunica im Schatten der „großen“ und bekannten serbischen Oppositionspolitiker: des charismatischen Wirrkopfs Vuk Drašković und des energischen Demokraten Zoran Djindjić, die sich gegenseitig bekämpften und den Kampf der demokratischen Kräfte gegen das Regime Milošević’ zunichte machten. Die beiden spielten alle ihre Trümpfe ergebnislos aus, und der geduldige, konsequente Kostunica hat sich förmlich als Spitzenkandidat der Opposition für die kommenden Präsidentenwahlen am 24. September gegen Slobodan Milošević aufgedrängt. „Wenn wir die Parteiinteressen nicht endlich den allgemeinen Interessen unterordnen, dann arbeiten wir alle für Milošević“, sagt Kostunica. Mit seinem ganzen Einfluss setzt er sich für die Einigkeit der Opposition ein, die „zuerst gemeinsam Milošević besiegen muss, um dann die nullten Wahlen ausschreiben zu können“. Kostunica warnt ständig seine Kollegen von der Opposition, dass sie zunächst nicht für die Macht, sondern für den Wandel kämpfen müssen.
Als gemäßigter Nationalist und heftiger Kritiker der US-Administration ist Kostunica im Westen nicht gerade beliebt. „Die Nato-Luftangriffe auf Jugoslawien haben die Grundlagen der nach dem Zweiten Weltkrieg hergestellten internationalen Rechtsordnung zerstört“, erklärt er. Über eine mögliche Auslieferung Milošević’ an das Haager Kriegsverbrechertribunal sagt er, als Jurist hätte er gegen diese ganze „amerikanische“ Institution sehr wohl Einwände, aber über diese Frage werde ohnehin nicht der künftige jugoslawische Präsident entscheiden können. Für Kostunica muss Serbien eine Angelegenheit der EU und nicht Amerikas werden. Außerdem hätte das Nato-Bombardement auf Jugoslawien im Vorjahr die Machtposition von Slobodan Milošević nur gestärkt, die Staatengemeinschaft hätte sich nach dem Einmarsch der Friedenstruppen in den Kosovo als unfähig erwiesen, die Menschenrechte durchzusetzen.
Bauern lieben keine Katzen
Kostunicas beste Voraussetzungen für den Wahlgang: Einerseits kann ihm nicht einmal der böswilligste Propagandist des Regimes unterstellen, er sei ein Verräter, der Volk und Land an den Westen verkauft habe. Und andererseits können ihm nicht einmal seine heftigsten Gegner aus den Reihen der Opposition vorwerfen, er kämpfe nicht mit aller Kraft gegen Milošević und für eine demokratische Wende.
Kritiker werfen Kostunica vor, er habe kein Charisma, seine Redeweise sei für einen Politiker zu intellektuell und philosophisch. Außerdem habe er eine Vorliebe für Katzen, selbst in seinen Parteiräumen stolziere ein prächtiger Kater, und dafür habe ein serbischer Bauer nun einmal kein Verständnis.
Trotz allem: Der geborene Belgrader gilt als der „sauberste“ Politiker in Serbien, war nie in eine Affäre verwickelt und ist schlichtweg die Integrationsfigur der serbischen Opposition. Die jüngsten Umfragen Anfang September bestätigen, dass er der richtige Mann ist, um Milošević herauszufordern: Mit 43 Prozent liegt Kostunica deutlich vor dem aktuellen jugoslawischen Präsidenten, dem trotz heftigster, kompromissloser staatlicher Propaganda nur noch 31 Prozent der Bürger ihr Vertrauen schenken wollen.
Da serbische Oppositionspolitiker als „Verräter“, „Spione“, „Nato-Söldner“, schlichtweg als „die fünfte Kolonne“ vom Regime gebrandmarkt werden, oder, wie es Milošević selbst sagte, „Serbien hat gar keine Opposition“, hat auch Kostunica keinen Zugang zu den mächtigen staatlichen Medien. Seine Wahlkampagne führt er „zu Fuß“, wandert von Dorf zu Dorf, von Haus zu Haus. Trotz all seiner Schwächen im Umgang mit der Masse hinterlässt er in seiner Bescheidenheit einen symphatischen Eindruck, wenn er unter das Volk kommt. Er ist der einzige Politiker in Serbien, der sich immer noch ohne Leibwächter bewegt – bewegen kann. „Keine Sorge, wir werden dich beschützen“, sagten ihm neulich einige Bauern, als er ihnen sein Programm vorstellte.
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