: Von der Umverteilung zum Größenwahn
Wie die schöne Fassade im „Land des Lächelns“ Risse bekam und sich ein mächtiger Neoliberaler als verdeckter Staatsmonopolist entpuppte: Eine politische Bilanz nach fünf Jahren großer Koalition in Bremen ■ von Helga Trüpel
Zu Beginn der großen Koalition 1995 herrschte die Euphorie, die Sanierungskoalition würde endlich die Gesundung des hoch verschuldeten Bremens einleiten. Die CDU würde der Garant für die Sanierungszahlungen aus Bonn sein und den mangelnden wirtschaftlichen Sachverstand einbringen, den die Sozialdemokraten allein und die Grünen gar nicht aufweisen. So die bewährten Vorurteile. Die große Koalition hatte einen entscheidenden psychologischen Startvorteil, sie fußte auf der 1995 geplatzten Ampelkoalition von SPD, FDP und Grünen. War die Bilanz der Ampelkoalition besser als ihre Stimmung, so ist es bei der großen Koalition bisher umgekehrt: Die Stimmung ist besser als die Bilanz.
Natürlich ist gegen positive Stimmung nichts zu sagen. Im Gegenteil, jede Regierung, die etwas erreichen will, braucht sie. Sie ist besser als Klagemauer und Jammerei. Da hat Bürgermeister Henning Scherf (SPD) nicht unrecht. Wenn aber Auseinandersetzungen und Kontrolle nur als Jammerei abgetan werden, tut man dem politisch notwendigen Streit in der Demokratie Abbruch. Diesen Niedergang demokratischer Streittugenden haben wir BremerInnen jetzt nach fünf Jahren großer Koalition zu beklagen. Immer deutlicher wird, dass parlamentarische Rechte mit Füßen getreten werden.
Die Auslagerung von politischen Entscheidungen in staatseigene private Gesellschaften, wie zum Beispiel die Bremer Investitionsgesellschaft (BIG) und die Hanseatische Veranstaltungsgesellschaft (HVG), hat immens zugenommen. Die Parlamentarier aller Fraktionen haben dadurch immer weniger Einblick und Kontrollmöglichkeiten über die Umsetzung von politischen Beschlüssen. So wurden beim Musical „Jekyll & Hyde“ die Politiker mit Vorlagen abgespeist, die nicht den aktuellen Vertragsstand darstellten, und Nachfragen von Abgeordneten wurden mit dem Hinweis, es handele sich um eine private Gesellschaft, verweigert. Dabei entpuppte sich die von Ex-Wirtschaftsstaatsrat Frank Haller als privatwirtschaftliche Lösung verkaufte Musical-Geschichte de facto als Staatslösung, bei der die öffentliche Hand bei geringer Besucherauslastung das größte Risiko trägt. Also wieder ein Fall, wo der Neoliberale Frank Haller sich als verdeckter Staatsmonopolist erweist.
Kein Wunder, dass man sich in Dresden darüber lustig macht und dort ein Musical-Betreiber damit lockt, dass er die Stadt nicht so schröpfen würde wie dies in Bremen der Fall sei. Bremen gilt als Lachnummer in dieser Branche.
Oder nehmen wir das Beispiel Space-Park. Da gehen die Verantwortlichen von jährlich zwölf Millionen Besuchern aus. Diese Erwartungen liegen über den Besucherzahlen von Euro-Disney bei Paris. Das ist unverantwortlicher Größenwahn.
Das Ocean-Park-Projekt in Bremerhaven ist in seiner gigantomanischen Dimension zum Glück nicht zu Stande gekommen. Sonst hätten wir bald eine Investitionsruine mit unabsehbaren Folgekosten.
Die Strategie der großen Koalition, Bremen über den Tourismus wirtschaftlich weiterzuentwickeln, ist überdimensioniert. Die Erfahrungen mit der EXPO zeigen, dass die Event-Kultur nicht mehr so ungebrochen funktioniert, auch der Millennium Dome in London kann davon ein Lied singen. Überall müssen die Besucherzahlen realistischerweise nach unten korrigiert werden.
Was lernt Bremen nun daraus?
Bremen braucht zur Entwicklung ein neues Leitbild. Das Metropolen-Gerede von Bürgermeister und Finanzsenator Hartmut Perschau (CDU) wird Bremen nicht gerecht. Die Tourismusstrategie muss den Bremer Verhältnissen und Potenzialen angepasst werden.
Bremen ist weder eine Metropole noch nur eine Provinzstadt. Bremens Reiz liegt gerade in dem Mischcharakter, keine kräfteraubende Großstadt wie Berlin zu sein. Aber dann müssen wir diese Stärken auch angemessen ausbauen.
Wenn man nach Beispielen oder Vorbildern einer für Bremen verträglichen Entwicklung sucht, dann ist es der Zusammenschluss italienischer Städte, die sich unter dem Motto „Citta slow“ zusammengefunden haben. Gegen die Großstadthektik setzen sie auf Lebensqualität, auf Orte in den Städten, wo man gerne verweilt, und auf nachhaltige Stadtentwicklung statt auf touristische Eintagsfliegen.
Nicht das Nachmachen von Trends wie Musical und Urban Entertainment Centern, auf die viele Städte aufgesprungen sind, darf Bremens Leitlinie sein. Im Gegenteil, das Polieren von Diamanten, die ungeschliffen in Bremen vorhanden sind – wie zum Beispiel ein Auswanderungsmuseum für Bremerhaven – ist angesagt. Die Parfumwerbung „Don't imitate, innovate“ gibt eine Ahnung davon, dass bloßes Nachmachen langweilig ist.
Die große Koalition hat nach Meinung der Grünen bisher nur Großprojekte aus der Konserve hervorgebracht. Das Einzige, was sich zumindest von der Architektur und dem Konzept angenehm abhebt, ist das Universum.
Also müssen wir die übertriebenen Erwartungen an Besucherzahlen von Großprojekten herunterfahren und die Millioneninvestitionen in Großprojekte wie den Space Park stoppen Diese Beispiele zeigen, dass in Bremen eine Regierungspolitik mit Augenmaß und sozialer Verantwortung fehlt.
Die große Koalition betreibt eine einseitige Umverteilungspolitik zu Gunsten von Wirtschaftsinvestitionen, die dann doch nicht den Erfolg zeitigen, der ihnen angedichtet wird. Und die große Koalition ist blind auf dem Auge des Ausgleichs der gesamtgesellschaftlichen Interessen.
Bremen braucht wirtschaftliche Erneuerung, aber nicht die großkotzigen Projekte à la Haller. Es braucht viel mehr den Blick auf etwas, das uns erstens von den anderen unterscheidet und gleichzeitig Schritt hält mit den wirtschaftlichen Entwicklungen und zweitens – was mindestens ebenso wichtig ist – die Menschen mitnimmt. Allerdings nicht nur die Modernisierungsgewinner, sondern auch die, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen.
Lebensqualität in Bremen besteht eben nicht nur aus Rennbahn, Rhodarium, Space-Park und Ocean-Park sowie Musical. Genauso wichtig sind zum Beispiel ein lebendiges kulturelles Leben, zukunftsfähige Qualifizierungsangebote, sanierte Schulen mit neuen Schulbüchern und altersgemischten Schulkollegien, eine intakte Umwelt, verantwortlicher Flächenumgang, eine schrittweise städtebauliche Erneuerung sowie leistungsfähige und patientenorientierte Krankenhäuser.
Dieser notwendige Mix von Politik und Mut, zu neuen Ufern aufzubrechen, ohne die Gesamtinteressen eines Gemeinwesens zu vernachlässigen, fehlt der großen Koalition. Sie haben weder die ihnen zugeschriebene Wirtschaftskompetenz noch zukunftsfähige Visionen für das gesamte Land Bremen. Im „Land des Lächelns“ ist nicht alles so rosig, wie es die Herren Senatoren Henning Scherf, Hartmut Perschau und Josef Hattig suggerieren.
Die schöne Fassade der Regierung Scherf hat mittlerweile einige Risse bekommen. Das macht hoffentlich bald Platz für Neuanfänge in der Bremer Politik.
Die Autorin ist wirtschafts- und kulturpolitische Sprecherin der Grünen in der Bremischen Bürgerschaft
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