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Die Green Card ein großer Flop?

Zehntausende sollten kommen, doch nur wenige hundert IT-Spezialisten sind da. Die Wirtschaft sagt: Der Bedarf ist noch groß. Das Arbeitsministerium will noch nicht Bilanz ziehen. Fest steht, dass die Rekrutierung von Fachkräften im Ausland schwierig ist

von ANNETTE ROGALLA

Alles, was sie verlangt haben, hat die Regierung erfüllt. Ziemlich unkompliziert können Unternehmen Computer- und Informationsspezialisten aus Nicht-EU-Staaten nach Deutschland holen. Die Green Card macht es seit dem 1. August möglich. Aber in den ersten sechs Wochen sind gerade einmal 1.581 Arbeitserlaubnisse erteilt worden, wo doch ein Kontingent von zunächst 10.000 ausgeschöpft werden könnte.

Warum die Green Card nicht ankommt, mag das Bundesarbeitsministerium nicht analysieren. „Für eine Bilanz ist es noch zu früh“, sagt eine Sprecherin. Auch bei der Bundesanstalt für Arbeit werden nur Mutmaßungen laut. Vielleicht sei der Bedarf der Wirtschaft geringer als ursprünglich angenommen, spekuliert Behördensprecher Roland Schütz. Möglich sei auch, dass sich die Suche nach Computernomaden komplizierter als gedacht gestalte. „Bewerbungen sind per E-Mail schnell geschickt“, sagt Schütz, „aber Unternehmen werden niemanden aus Indien holen, den sie zuvor nicht persönlich gesehen haben.“ Es sei eben einfacher, Bewerber aus Stuttgart nach Köln zu bitten als aus Hyderabad.

Als IT-Fachkraft darf einreisen, wer entweder einen Hochschulabschluss mitbringt oder ein Jahreseinkommen von mindestens 100.000 Mark mit seinem deutschen Arbeitgeber aushandeln konnte.

Die meisten Green Cards erteilen die bayerischen Arbeitsämter. In der ersten Zählung lagen sie mit 433 Zusagen vorn. In München macht Arbeitsvermittler Gerhard Kimmeringer die Erfahrung, „dass die überwiegende Mehrheit der Bewerber einen akademischen Hintergrund hat“. Arbeitsvermittler Kimmeringer notiert in München ein durchschnittliches Jahresgehalt von rund 80.000 Mark. Die Computernomaden sind in der Regel zwischen 23 und 25 Jahre alt und stehen am Beginn ihrer Karriere.

Nicht in jedem Land haben die Firmen eine glückliche Hand bei der Personalsuche. Am besten gelingt es ihnen in Indien. Von dort kamen 282 Spezialisten, gefolgt von Bewerbern aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion (232), Rumänien (167) und den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien (112).

Fündig werden die Firmen aber auch in Deutschland. Die Bundesanstalt für Arbeit zählt 305 Green Cards für Berufsanfänger, die nach ihrem Gaststudium im Land bleiben. Besonders zufrieden ist die Bundesanstalt mit sich selbst. Binnen zweier Tage werde die Green Card erteilt, vermeldet ihr Sprecher.

Dass nur wenige Spezialisten aus dem IT-Wanderzirkus Deutschland ansteuern, kann die hiesige Computerbranche nicht verdrießen. „Wir sind optimistisch“, sagt Werner Senger vom Bundesverband Informations- und Kommunikationssysteme. Hoch qualifiziertes Personal zu rekrutieren sei nicht einfach, „böse gesagt, es geht ja nicht um Putzfrauen oder Tippsen, die wir einstellen wollen“. Nach wie vor habe die Branche einen ausgesprochenen Bedarf an 75.000 Computerspezialisten.

Firmen, die für den Standort Deutschland Personal anheuern wollen, müssen hohe Gehaltshürden auf dem internationalen Arbeitsmarkt überspringen. Das frustriert besonders mittelständische Unternehmen wie die Firma Controlware aus Dietzenbach bei Offenbach. Etwa dreißig der begehrten Spezialisten würde sie einstellen, doch nach langem Suchen habe man bis jetzt nur einen Vertrag mit einem Entwicklungsingenieur aus Bulgarien abschließen können. Trotz eines langjährigen Geschäftspartners in Indien sei es nicht gelungen, einen Spezialisten von dort zu bekommen. „Drei Leuten haben wir am selben Tag, als ihre Bewerbung einging, eine Einladung nach Deutschland geschickt“, sagt Vorstandsassistentin Gertraude Hoffmann. Gekommen ist keiner. „Weil sie lieber in die USA wollten.“

Das Land, in dem Milch und Honig fließen und zudem Traumgehälter gezahlt werden, lockt alle Computerexterpten der Welt an. Mit Einstiegsgehältern von 250.000 Dollar und mehr könne Deutschland nicht mithalten. Da hilft auch die Green Card wenig.

Frei von Illusionen konstatiert Hoffmann: „Die Green Card ist vom Prinzip her gut, geht aber am Markt vorbei.“ Ihr Unternehmen setzt nun konsequent auf die Ausbildung eigener Mitarbeiter. Aus- und weitergebildet werden permanent zehn Prozent der Angestellten. „Das ist unsere einzige Chance“, sagt Hoffmann. Die Green-Card-skeptischen Gewerkschafter hören es mit Freude.

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