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Die wahre Krise kommt erst noch

Die Benzinpreise, die Europas Blockierer auf die Straße treiben, sind gering, verglichen mit den kommenden. Denn Chinas Öldurst wächst und wächst

aus Peking GEORG BLUME

Noch ist die Lage an der Ostfront ruhig. Nur vereinzelt haben chinesische Lkw- und Taxifahrer in dieser Woche zu den gleichen Mitteln wie ihre europäischen Kollegen an der Westfront gegriffen. In Peking aber herrschte bis zum Wochenende normaler Tankstellenbetrieb.

Das muss in Zukunft nicht so bleiben. Die Rationalität von Autofahrern kennt auch in China Grenzen. „Die USA sind schuld an den hohen Benzinpreisen. Sie haben dafür gesorgt, dass die Opec weniger Öl fördert“, schimpft ein empörter Kleinwagenfahrer, Modell Changan Alto, an einer Pekinger Tankstelle. Hier kletterte der Benzinpreis in den letzten Monaten von 2,3 auf 3,3 Yuan (umgerechnet 86 Pfennig). Die wahren Gründe für den Preisanstieg sind vielen Chinesen schleierhaft. Schießlich deckt ihr Land nach wie vor 70 Prozent seines Energiebedarf mit heimischer Kohle. Öl ist bislang Nebensache. Außerdem zählte China noch 1993 zu den ölexportierenden Ländern.

Im Unwissen über Chinas künftigen Ölbedarf lauert die Gefahr einer neuen, weit dramatischeren Ölkrise, als die Welt sie dieser Tage erlebt. Kaum ein europäischer Politiker ist sich der Risiken bewusst, die der sich bereits abzeichnende Verteilungskampf ums Öl zwischen China und dem Westen bedeutet.

Kent Calder, Beamter im Washingtoner State Department, erkannte rechtzeitig den Trend: „Ein von den sich verändernden Ölinteressen entzündeter Rüstungswettlauf zwischen China, Japan und möglicherweise Südkorea ist die größte, langfristige Sicherheitsgefahr in Asien“, schrieb Calder 1996 in Foreign Affairs. Schon damals warnte der Japanexperte Calder vor einem Ölbündnis zwischen Mittel- und Ostasien, das „die vom Westen dominierte Weltordnung gründlich verändern könnte“.

Dem denkbaren geopolitischen Umschwung liegt Chinas neuer Durst nach Öl zugrunde. Über die letzten 13 Jahre hat sich die chinesische Ölnachfrage fast verdoppelt (siehe Grafik). Sie liegt derzeit bei 4,4 Millionen Barrel pro Tag. Zusammen mit den übrigen asiatischen Ländern verbraucht China damit annäherend so viel Öl wie die Vereinigten Staaten. Allerdings leben in Asien drei Milliarden Menschen und in den USA nur 265 Millionen. Ein Chinese verbraucht pro Jahr annähernd 2 Barrel Öl pro Jahr, ein Amerikaner durchschnittlich 24 Barrel. In Zukunft werden sich die Bedürfnisse annähern.

Der Hongkonger Investmentberater Marc Faber prophezeit schon heute eine nochmalige Verdoppelung der chinesischen Ölnachfrage in den kommenden acht Jahren. „Ich lebe seit Anfang der Siebzigerjahre in Asien, und eines ist mir klar geworden: Die Leute steigen vom Fahrrad übers Motorrad zum Auto um“, sagt Faber, ein Schweizer, der kürzlich mit den US-Ökonomen Paul Krugman und Jeffrey Sachs auf zwei Konferenzen über die Ölkrise stritt. Krugman und Sachs vertreten die Auffassung, dass die neue Wirtschaft den Energieverbrauch in Zukunft so zurückdrängt, dass mit Ölknappheit nicht mehr zu rechnen ist. Dem widerspricht Faber auch im politischen Sinn: „Wenn China militärisch handlungsfähig sein will, etwa im Hinblick auf Taiwan, dann muss es seine Ölversorgung über Burma und Zentralasien sichern.“ Faber ist deshalb Pessimist: „Beim nächsten Krieg in der Welt wird Öl eine große Rolle spielen.“

So weit muss es nicht kommen. Ausgerechnet die großen multinationalen Ölkonzerne weisen heute Wege, China als gleichberechtigten Partner ins internationale Ölgeschäft zu integrieren. BP Amoco unternahm den ersten Schritt. Kürzlich erwarb der britische Konzern für 620 Millionen US-Dollar einen Zweiprozentanteil beim chinesischen Ölriesen PetroChina. Das im November 1999 zu einer Aktiengesellschaft umgewandelte Unternehmen soll China an den Ölweltmarkt ankoppeln. Das gleiche gilt für Sinopec, das in diesem Herbst als zweites chinesisches Ölunternehmen an die Börse geht. Hier kündigten BP Amoco, Exxon Mobil und die Shell-Gruppe Aktienkäufe im Wert von 1,83 Milliarden Dollar an. „Unsere Übereinkunft mit Sinopec ist für BP ein entscheidener strategischer Schritt in China“, glaubt BP-Chef John Browne, dessen Konzern nun der größte ausländische Ölinvestor in China ist.

Doch auch die Macht der Multis hat Grenzen. Selbst wenn PetroChina und Sinopec erfolgreich sind und mit ausländischer Hilfe die chinesische Ölversorgung modernisieren, wird der Verteilungskampf ums schwarze Gold größer werden. Den westlichen Ölbedarf zu senken, ist damit schon heute eine Aufgabe vorausschauender Weltsicherheitspolitik.

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