: Warten auf Ansiedlung
Die Landlosenbewegung MST beendet ihre Proteste in elf brasilianischen Bundesstaaten ohne Erfolg
SÃO PAULO taz ■ Im Tauziehen mit der brasilianischen Regierung hat die Landlosenbewegung MST nachgegeben: Am Donnerstag beendeten 900 Bauern ihre „Mahnwache“ vor einem Landgut des Präsidenten Fernando Henrique Cardoso in Bundesstaat Minas Gerais. Schon am Vortag hatten sich Tausende von Landlosen aus den Büros der Agrarreformbehörde Incra zurückgezogen, die sie seit Montag besetzt gehalten hatten. Raul Jungmann, der Minister für Agrarreform, weigerte sich dennoch, Gespräche mit der MST aufzunehmen, „solange es Drohungen, Druck und Erpressung“ gebe.
Es handelte sich um die dritte große Mobilisierung der MST in diesem Jahr. Die Landlosen monieren den schleppenden Fortgang der Agrarreform. Im Juli hatte Cardoso zusätzliche Mittel für die Ansiedlung landloser Bauern zugesagt. Darüber hinaus sollten Alphabetisierungsprogramme eingeleitet, Agrarexperten eingestellt und verschuldete Kleinbauern entlastet werden. Laut MST-Koordinator João Pedro Stedile wollen die Landlosen lediglich darauf aufmerksam machen, dass die Regierung ihre Zusagen nicht einhalte. Für 110.000 bereits angesiedelte Kleinbauernfamilien forderte er günstige Kredite über je 2.000 Reais (zirka 2.400 Mark). „Diese Bauern haben kein Geld für die kommende Aussaat“, sagte er. „Wenn die versprochenen Mittel nicht in den kommenden Wochen fließen, verlieren wir ein ganzes Jahr.“ Außerdem machte er die Regierung für die schwere Krise in der Landwirtschaft verantwortlich: „Sie setzt eine Agrarpolitik durch, die nur den Multis und Banken nützt. Heute produzieren wir Milch, aber wir finden niemanden, der sie uns abkauft.“ Weitere 100.000 Familien von Landlosen hausen in Zeltlagern und warten auf ihre Ansiedlung.
Mehr als den weithin bekannten Forderungen der MST galt das Interesse der brasilianischen Medien dem leicht surrealen Duell zwischen Präsident Cardoso und seinem Vorgänger und Intimfeind Itamar Franco. Der parteilose Gouverneur von Minas Gerais hatte sich geweigert, die Militärpolizei gegen die Landlosen einzusetzen, woraufhin Cardoso eine Eliteeinheit der Armee zur Sicherung seiner Fazenda abstellte. Francos ultimative Forderung zum Abzug der Armee tat Cardoso als „Prahlerei“ ab. Daraufhin ließ der Gouverneur prüfen, ob das Landgut des Präsidenten „im öffentlichen Interesse“ enteignet werden könnte. Um seinen Regierungssitz in der Landeshauptstadt Belo Horizonte postierte er Scharfschützen und einen Hubschrauber mit der Begründung, er sehe sich ähnlich bedroht wie der chilenische Präsident Allende vor dem Militärputsch. GERHARD DILGER
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