piwik no script img

Der Übernahmekünstler

U-Bahn-Scratcher wollen die Oberflächen des Systems beschädigen, Ottjörg A. C. hingegen nimmt ihnen mit seinen Eins-zu-eins-Radierungen einen Teil ihrer Subversion

Berlin ist vom künstlerischen Standpunkt aus selbstbewusst. Zürich und Wien sind eher verhalten. Und in London wird nur aus dem Verkehr gezogen, was anstößig und rassistisch ist.

Was den Künstler Ottjörg A. C. in Buenes Aires und New York erwartet, weiß er nicht. Denn A. C. sammelt Scheiben aus U-, S- und Tram-Bahnen. 1.000 aus zwölf Städten sollen einmal zusammenkommen. Nicht irgendwelche, sondern nur die blickdichten, weil sie zerkratzt sind. Meist mit rätselhaften Chiffren aus drei Buchstaben oder Zahlen, manchmal mit krakelig gezogenen Kreisen, die ausschauen wie die Sonne auf einer Kinderzeichnung. Die Farben auf diesen so genannten „Scratchings“ kommen allerdings erst durch A. C.: Er benutzt die ausrangierten Scheiben als direkte Druckplatte für seine eben scheibengroßen Radierungen, die in ihrer blassen Farbigkeit und ungelenken Strichführung ungewollt an Paul Klees Handschrift erinnern.

Seit einem Jahr ist der 1958 in Heidelberg geborene Künstler mit Tischlerausbildung und Meisterschule in Berlin bei Alfred Hrdlicka und Rolf Szymanski im Glasfieber auf Schienen unterwegs. Das Radieren hat ihn schon immer angezogen, aber auch der Prozess der Aneignung. Während des Studiums hat er aus dem Müll unachtsam weggeworfene Radierungen seiner Kommilitonen gefischt und überarbeitet. Die Glasradierung war die letzte Herausforderung. „Und dann sitzt du in der S-Bahn und siehst plötzlich die ganzen Radierplatten spazieren fahren“, sagt A. C., der mittlerweile etliche Fenster der U 7 in seinem Besitz wähnt. Gemeinsam mit Scheiben aus Wiener und Züricher Straßenbahnen stellt er sie jetzt den eins zu eins von ihnen abgezogenen Radierungen in der Kulturbrauerei gegenüber.

Als unlängst ein Teil von ihnen in Magdeburg in einer Gruppenausstellung zu sehen war, löste das bei den jugendlichen Scratchern Stolz und Aggression zugleich aus. „Ich nehme ihrer Aktion einen Teil der Subversion“, stellt A. C. fest. Aber der Übernahmekünstler meint, das sei wie mit den Rasierklingen der Punks: Als die versilbert auf der Carnaby Street und dem Ku’damm verkauft wurden, war es vorbei mit dem Mythos vom „Fuck Off“.

Noch liest A. C. in den Zeichen der Kratzbilder wie in einem Gesellschaftsreport unserer Zeit, in dem es um die Rückbesinnung auf Einfachheit und Bequemlichkeit geht. Zugleich merkt man seinen Arbeiten aber auch Anonymität und die Verletzung von Oberflächen an: Die Scratcher brauchen bloß einen spitzen Gegenstand, sind nicht wie Graffitimaler durch Formen und Farben zu bestimmen und tragen die Mode verletzter Haut durch Piercings auf die Beschädigung der Scheiben über. Wenn A. C. dann bei den Verkehrsbetrieben zwecks Akquisition der ausgewechselten Scheiben anruft, heißt es am anderen Ende der Leitung immer zögerlich: „Aha, Sie machen das zu Kunst.“ Ja, das tut A. C. tatsächlich, aus Vandalismus sollen Bilder werden. PETRA WELZEL

Existentmale, bis 13. 10., Mi – Fr 16 – 20, Sa/So 14 – 20 Uhr, Kulturbrauerei/Alte Feuerwehr, Knaackstr. 97

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen