: Begründete Liebe zum Ball
Der 1. FC Union verliert im Spitzenspiel der Regionalliga gegen den FC Erzgebirge Aue mit 1:2. Die Sachsen bleiben Tabellenführer, Union bleibt der eiserne Kampf. Denn den wollen die Fans sehen
von MARTIN KRAUSS
Nach etwa einer halben Stunde im Regionalliga-Spitzenspiel zwischen dem FC Erzgebirge Aue und dem hiesigen 1. FC Union war es am Samstagnachmittag mit dem Regen endlich vorbei. Jede der Mannschaften hatte schon ein Tor geschossen, die Sonne schien über der „Alten Försterei“, wie das Stadion in der Wuhlheide heißt, da schoss ein Unioner den Ball aus Versehen auf die Zuschauerränge. Ein Berliner Fan, kurz geschoren und kräftig gebaut, fing den Ball – und küsste ihn. Dann warf er ihn einem verdutzt zuschauenden Spieler von Aue zu, damit der den fälligen Einwurf ausführte.
Die Liebe war begründet, zu diesem Zeitpunkt sah es auch sportlich nicht schlecht aus für Union. Nach der frühen Führung für den Überraschungs-Spitzenreiter der Regionalliga Nord, den FC Erzgebirge Aue, in der 12. Minute, hatten die Unioner das gemacht, was sie gefälligst zu tun haben, selbst dann, wenn es nicht elegant ausschaut. Sie begannen zu kämpfen. Der Druck, den die Unioner machten, war groß, und in der 22. Minute zahlte er sich zunächst aus: Ronny Nikol schlug eine Ecke, die Daniel Ernemann mit dem Kopf zum Tor verwandelte.
Von den 4.800 Zuschauern waren etwa 600 aus Sachsen mitgereist, die anderen jubelten laut und beeindruckend. Mit „Eisern Union“ und „Hier regiert der FCU“ wurde klar gemacht, wer im Stadion das Sagen hat. Auch ihre Transparente machten klar, was sie von ihrer Mannschaft erwarten: „Berliner Eisern Union Rasenkrieger“ oder „Pils Piranhas immertreu“ oder „Vetschauer Brandys“. Beim 1. FC Union Berlin legt man Wert darauf, ein anderer, ein ostdeutscher, ja, ein ostdeutsche Tugenden verkörpernder Verein zu sein.
Die Vereinsgeschichte ist durchzogen von dem Gefühl, dass man immer beschissen wurde: Zu DDR-Zeiten gegenüber dem anderen großen, eigentlich größeren Berliner Verein, dem BFC Dynamo Berlin, dessen Ehrenvorsitz Erich Mielke inne hatte. Und zu gesamtdeutschen Zeiten hatte der Club schon zwei Mal sportlich den Aufstieg in die Zweite Bundesliga geschafft, und beide Male wurde er vom DFB ausgebremst: ein Mal wegen fehlender finanzieller Sicherheiten, ein anderes Mal, weil man tolldreist eine mit dem Prittstift gefälschte Bankbürgschaft in die DFB-Zentrale faxte. Richtige Unioner glauben bis heute, dass es sich dabei um eine vom reichen Charlottenburger Konkurrenten Tennis Borussia initiierte Verschwörung handelte. Bei Union steht man zusammen, der Verein ist wichtiger als alles andere. Union ist ein Fußballverein, bei dem während des Spiels die Schlange am Bratwurststand genau so lang ist wie während der Halbzeitpause.
In der Pause vom Aue-Spiel verkündet der Stadionsprecher André Rolle die Details zum kommenden Auswärtsspiel bei Fortuna Köln: Es ist wegen des Erstligaspiels der Münchner Bayern beim 1. FC Köln auf Freitag vorverlegt worden. „Ich weiß nicht, was die haben“, kommentiert Rolle, „da wären wir doch eh nicht hingegangen.“
Unioner haben Selbstbewusstsein. Selbst dann noch, wenn es kaum noch einer bemerkt. Oscar-Preisträger Pepe Danquart zeigte das deutsch-deutsche Zusammenwachsen im Sport in seinem Film „Heimspiel“ am Beispiel der Eisbären, dem Eishockeyclub. Der andere deutsche Oscar-Preisträger, Volker Schlöndorff, versucht das Thema am Beispiel von Hertha BSC zu bearbeiten – an Union traut sich keiner ran. Wenn man sie wirklich abbildete, wie sie sich gerieren – mit all ihrem Proletkult, ihren Verschwörungstheorien und ihrer Ostalgie -, das würde zu kitschig, das würde keiner glauben.
Schon die Architektur im Stadion „Alte Försterei“ glaubt einem keiner: Zur einen Seite das Hauptspielfeld. Daneben, von den kritischen Fans einsehbar, ein Trainingsplatz, den die Spieler diagonal durchschreiten müssen, wenn sie von der Umkleide zum Platz wollen oder, manchmal noch demütigender,wieder zurück. Hier müssen sie sich nach einem Spiel noch die Beschimpfungen anhören.
So weit war es am Samstag gegen Aue nicht: Union stürmte, das wurde von den Fans anerkannt, oder zumindest als das hingenommen, was ein Unioner gefälligst zu tun hat. Aber in der 51. Minute ging der Auer Spieler Ronny Jank durch, flankte, und Marcel Salomo spitzelte den Ball zum 2:1 ins Tor.
Der FC Erzgebirge hieß zu DDR-Zeiten noch Wismut Aue, und in den fünfziger Jahren war er sogar unter dem mitunter auch für Union vergebenen Label vom „Schalke des Ostens“ auf dem Sprung zum internationalen Spitzenclub – als erster Verein, der die DDR in europäischen Pokalwettbewerben vertrat. Nun könnte Aue beinah unverhofft das passieren, wovon Union schon seit Jahren glaubt, dass es ihm zustünde: der Aufstieg in die Zweite Bundesliga. Denn der FC Erzgebirge bleibt souveräner Tabellenführer der Regionalliga Nord. Das wollte Union eigentlich auch sein. Doch die Köpenicker werden wohl eisern in der dritten Liga weiterkicken.
Hinweis:Wenn man die Unioner wirklich so abbilden würde, wie sie sich gerieren, das würde zu kitschig, das würde keiner glauben
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