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Aussage vor den Kameras

Angeklagter Ronald Schill schweigt zu Beginn des Prozesses zur Anklage und sonnt sich im Applaus der ZuschauerInnen  ■ Von Elke Spanner

Es geht um mehr als um die Frage, ob Richter Ronald Schill ein Verbrecher ist. Auf der Anklagebank sitzt für die ZuschauerInnen nicht allein ihr Idol, sondern mit ihm auch die politische Meinung, die sie vertreten und die es hier zu verteidigen gilt. Mit Applaus begrüßen sie Schill, als der den Prozesssaal betritt. Er bleibt stehen und genießt. Dann schreitet er gelassen zu seinem Platz, als wäre es wie sonst das Richterpult und nicht die Anklagebank. Dort muss sich der Amtsrichter, der vorige Woche vorläufig vom Dienst suspendiert wurde, seit gestern wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung und Rechtsbeugung verantworten.

Sorgen bereitet ihm das keine, gibt er Auskunft. Allein dass durch seinen Prozess „Gelder verschwendet“ würden, die andernorts zur Bekämpfung der Schwerstkriminalität verwandt werden könnten, beunruhige ihn. Die Rolle des Angeklagten nimmt Schill im Prozesssaal nicht an. Er scherzt mit seinem Verteidiger, verweigert die Aussage, „vielleicht später“, und lässt seinen Rechtsanwalt eine rechtliche Würdigung der Anklage verlesen. Was Schill zu sagen hat, verkündet er außerhalb des Saales vor Fernsehkameras. Dass er mit Bodyguards zum Gericht gekommen sei, weil er „den Zorn der durch den Staat verhätschelten linksradikalen Gruppen“ auf sich gezogen habe und sich deshalb in Lebensgefahr wähne. Dass sein Freispruch „hundertprozentig“ sicher sei. Und dass die Staatsanwälte, die seine Anklage verfassten, „selbst Opfer politischer Einflussnahme sind, der sie sich nicht entziehen können“, fügt er nachsichtig hinzu.

Sein Anwalt Walter Wellinghausen vertritt die Ansicht, Schill sei damals rechtlich nicht verpflichtet gewesen, die Haftbeschwerde gegen die von ihm verhängte dreitägige Ordnungshaft für zwei Prozesszuschauer „unverzüglich“ an das Oberlandesgericht weiterzuleiten. Das OLG selber ist da offenbar anderer Meinung. Eine Protokollführerin aus Schills damaliger Geschäftsstelle sagt aus, dass bereits am Tag nach der Verhängung der Ordnungshaft das Gerichtspräsidium bei ihr auf die umgehende Bearbeitung der Akte gedrängt habe. Sie meint sich vage zu erinnern, Schill habe ihr gegenüber damals erwidert, er hätte zum Weiterleiten drei Tage Zeit. Am Donnerstag, dem nächsten Verhandlungstag, wird der Journalist aussagen, dem Schill damals auf Nachfrage am Telefon gesagt haben soll, er werde „nicht gleich springen, wenn ein Anwalt einen Antrag stellt“.

Wellinghausen unterstellt der Staatsanwaltschaft, „eine Tendenz“ gegen seinen Mandanten zu verfolgen und ihm die objektive Würdigung des damaligen Geschehens zu verweigern. Wieder klatschen Schills AnhängerInnen Beifall. Damals, als im Gerichtssaal Unruhe ausbrach, drohte Schill den ZuschauerInnen Ordnungshaft an. Heute sonnt er sich in seinem Zuspruch. Der Vorsitzende Richter fordert die Menge hinter der Trennscheibe mehrfach zur Ruhe auf: „Wir sind hier nicht im Theater.“ „Doch.“

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