piwik no script img

„Das Schamgefühl, versagt zu haben“

■ Gestern stand Horst H. vor Gericht, der eine Mitarbeiterin des Sozialamts niederschoss

Als er die Waffe zog, habe die Sachbearbeiterin ihn behandelt, wie sie es immer tat: „Sie hat mich schlichtweg ignoriert“, erklärte Horst H. im März vor dem Haftrichter, warum er Karin W. im Sozialamt Osdorf niederschoss. Die Frau, über die er sprach, lag damals noch im Krankenhaus, lebensgefährlich verletzt. Gestern im Gericht sollten die beiden das erste Mal wieder aufeinandertreffen. Die Kammer ersparte der Sozialamtsmitarbeiterin die Situation und ließ Horst H. für die Zeit ihrer Aussage in seine Zelle im Untersuchungsgefängnis zurückbringen.

Obwohl er vor der Polizei detailliert seine Tat beschrieben hatte, schwieg Horst H. vor Gericht. Karin W. bestätigte, dass auch sie das Verhältnis zwischen den beiden schon vorher als angespannt empfunden hatte. Mal fand sie Horst H. unverschämt, weil er darauf beharrte, in seinem erlernten und nicht irgendeinem Beruf arbeiten zu wollen. Mal fühlte sie sich von ihm veräppelt, als er eine Liste mit dringend benötigten Dingen verfassen sollte und „Schwarztee, 50 Beutel“, und „Spaghetti“ darauf schrieb. Aber sie wollte ihm doch helfen, und dazu habe gehört, ihn statt an die Sozialamtskasse ans Arbeitsamt weiterzuverweisen.

Horst H. hatte jeden Gang zum Sozialamt als Demütigung empfunden. Er war in seinem Beruf einmal erfolgreich gewesen und nun erklärte sie ihm, er sei verpflichtet, jeglichen Job anzunehmen. Seit Monaten schon konnte er seine Miete nicht mehr zahlen und sie sagte bloß, dass das Sozialamt für seinen Lebenunterhalt nicht aufkommen würde. Und dann stand am Morgen des 28. März der Gerichtsvollzieher vor der Tür, Zwangsräumung, das zweite Mal bereits. „Ich wollte ihr verdeutlichen, in was für eine verzweifelte Situation mich die Sachbearbeiterin gebracht hatte“, erklärte Horst H. im März dem Haftrichter. Darum wollte er sie berauben und nicht etwa nur eine Tat begehen, die sie als einen „Dummen-Jungen-Streich“ hätte abtun können.

Sieben Patronen hatte er in seiner Pistole geladen, drei Mal feuerte er, als die Sachbearbeiterin nicht wie verlangt das Portemonnaie rausrückte, sondern an ihm vorbeiging, um die Polizei zu rufen. Nicht einmal einen Geldbeutel könne er erbeuten, dachte er bitter, empfand „erneut das Schamgefühl, versagt zu haben“, und ließ Karin W. dafür büßen.

Der Prozess wird am Feitag fortgesetzt. Elke Spanner

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen