Von Mecklenburg zum Hudson

Der Film ist wirklich fertig: Ab dem 15. November laufen Uwe Johnsons „Jahrestage“ im Ersten. Margarethe von Trotta hat nach vielen Querelen aus der sperrigen Vorlage einen Frauenfilm gemacht. Und sogar Günter Struve hat ihn verstanden

von BÄRBEL SONNTAG

Zwei Wunder und eine Kulturrevolution: Allen Querelen zum Trotz ist es Margarethe von Trotta gelungen, aus den „Jahrestagen“ für die ARD einen durchaus stimmigen Film zu machen. Von wegen „Süßstoffoffensive“!

Eben noch mussten sich die ARD-Gewaltigen im Leitmedium der Intellektuellen-Republik als „Quotenidioten“ beschimpfen lassen, weil sie die Zuschauer für dumm verkauften und Fernsehspiele gar nicht mehr seicht genug sein konnten. Jetzt stellt sich der angeblich schlimmste von allen Seichspülern, ARD-Programmdirektor Günter Struve, stolz ans Rednerpult und präsentiert „einen der Höhepunkte des Fernsehjahres 2000“. Und gesteht kokett, er selbst sei ja bei der Lektüre der „Jahrestage“ nur bis Seite 39 gekommen, doch die Regisseurin Margarethe von Trotta habe aus den als „unverfilmbar“ geltenden 1.800 Seiten des Romans einen Vierteiler gemacht, den sogar er verstehe. – Ein Kompliment, das die Regisseurin mit dem Satz kontern könnte, den sie während der Dreharbeiten der FAZ gegenüber fallen ließ: „Ich habe nichts gegen das Fernsehen.“

„Das Fernsehen“, sagt Struve und meint natürlich die ARD, musste die „Jahrestage“ einfach verfilmen, „weil der Roman so ist wie wir: vielschichtig und weder auf den ersten noch auf den dritten Blick durchschaubar“.

Nun kommt den ARD-Gewaltigen so ein Vorzeigeprojekt mitten im erbitterten Disput um die Quoten-Anbiederei natürlich gerade recht: Bösartige Menschen könnten einwenden, das Projekt, den Johnson-Roman zu verfilmen, stamme ja noch aus grauer Vorzeit, bevor in den ARD-Spielfilmredaktionen „Optimierungspapiere“ kursierten, die den Autoren, Regisseuren und Redakteuren eine Erzählweise ans Herz legte, die „unkompliziert, einfach, klar, auf keinen Fall verwirrend“ sein sollte.

Zehn Jahre Planung

Denn tatsächlich wurde die Idee, die „Jahrestage“ zu verfimen, schon vor zehn Jahren „in der Fernsehfilmredaktion des WDR zum ersten Mal ventiliert“, schreibt WDR-Fernsehdirektor Jörn Klamroth im Presseheft. Da die ARD eine vielschichtige, kompliziert strukturierte Anstalt ist, in der die Entscheidungswege länger sind als anderswo, wird es also noch ein paar Jährchen dauern, bis die Auswirkungen des „Optimierungspapiers“ tatsächlich im Programm sichtbar werden.

Dass der Vierteiler über die beiden Deutschland nun im November tatsächlich über die Mattscheiben flimmern soll, ist das erste Wunder: Sieben Drehbuchfassungen legten die Autoren Christoph Busch und Peter Steinbach vor, ehe im Frühjahr 1996 der schon zu DDR-Zeiten renommierte Regisseur Frank Beyer („Spur der Steine“) mit dem Projekt betraut wurde. Doch je nachdem, von welcher Seite man die Geschichte erzählt, „überwarf“ sich Beyer mit der Produktionsfirma Eikon – oder wurde aus dem Projekt herausgedrängt. Angeblich konnten sich Regisseur und die mehrheitlich im evangelischen Kirchenbesitz befindliche Produktionsfirma nicht über die Besetzung einigen. Auch die Auflage der Geld gebenden Filmstiftung Nordrhein-Westfalen, einen guten Teil des Films in NRW zu drehen, mochte Beyer, so hieß es, nicht akzeptieren.

Dann erst kam Margarethe von Trotta zum Zug, deren einstiger Mann, Volker Schlöndorff, neidvoll sagte, die „Jahrestage“ seien „die letzte große Literatur, die man in Deutschland verfilmen kann“. Und sie hielt sich brav an die Auflagen, überzog anscheinend auch nicht den Etat von 16 Millionen Mark und hatte nach 106 Drehtagen die Szenen für 360 Minuten Film im Kasten.

Von Trottas Idee war es, die Rolle der erwachsenen Gesine Cresspahl mit Suzanne von Borsody zu besetzen – eine gute Wahl: Der Schauspielerin nimmt man die Mecklenburgerin in New York, die bodenständig und heimatlos zugleich ist, die am Sozialismus wie am Kapitalismus Zweifelnde und Verzweifelnde ohne Weiteres ab.

Doch die spröde, manchmal fast protokollarisch wirkende Sprache Johnsons, den manche ja nicht nur für unverfilmbar, sondern auch für unlesbar halten, kann im Medium Film keine Entsprechung finden. Den Drehbuchautoren bescheinigt die Regisseurin, es sei ihnen gelungen, „Johnson zu vitalisieren, ohne ihn zu trivialisieren. Sie haben die Menschen aus ihrem Beziehungsgestrüpp herausgeschält, ihnen Worte gegeben, in denen sie in direkter Form miteinander zu tun haben, sodass ich sie mir sofort vorstellen konnte, bis hinein in die Gesten.“ Ein Weiteres tut die Besetzung, die nicht nur sehr prominent, sondern auch ausgesprochen überzeugend ist.

Zweimal Mutter – Tochter

Das zweite Wunder ist, dass Margarethe von Trotta es allen Querelen und Beteiligten zum Trotz geschafft hat, aus den „Jahrestagen“ einen runden, stimmigen Film zu machen. Konsequent hat sie die zwei Mutter-Tochter-Beziehungen in den Vordergrund gestellt: die der allein erziehenden Gesine zu ihrer Tochter im New York der Sechzigerjahre und die unbewältigte Beziehung von Gesine zu ihrer eigenen Mutter, die sich 1938 in Mecklenburg selbst verbrannte.

Nun, da alles noch einmal gut gegangen ist, kann Programmdirektor Struve den Mund gar nicht voll genug nehmen: Er spricht sogar von einer „Kulturrevolution“, die mit diesem Film stattfinden werde, und den Scharen von neuen Lesern, die sich demnächst derart angestachelt auf das Werk Uwe Johnsons stürzen.Und dann steht am Ende dieses so langwierigen und ausgesprochen schwierigen Projekts doch eine überraschende Erfolgsmeldung: Margarethe von Trotta hat einen Frauenfilm gemacht, und Günter Struve hat ihn verstanden.