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Die Mühen der Hochebene

Kolumbiens Blumenbranche hat hierzulande einen schlechten Ruf. NGOs kritisieren in erster Linie die knallharten Arbeitsbedingungen in vielen Betrieben, denen vor allem Frauen ausgesetzt sind. Umweltschäden wurden zwar reduziert, doch von einem sozialen Gütesiegel wollen die Exporteure des Andenstaats nichts wissen

von GERHARD DILGER

Beim Anflug auf Kolumbiens Hauptstadt Bogotá sind die riesigen Gewächshäuser deutlich zu erkennen, mit denen die üppig-grüne Hochebene übersät ist. Die darin gezüchteten Schnittblumen sind für den Export nach Nordamerika und Europa bestimmt. Über neunzig Prozent der kolumbianischen Rosen, Nelken und Chrysanthemen stammen aus dem Großraum Bogotá. Das milde Klima auf 2.600 Meter Höhe ist für Blumenanbau bestens geeignet.

„Seit sieben Jahren arbeite ich in Blumenfabriken. Vor neun Monaten habe ich über einen Subunternehmer bei einer neuen Firma angefangen“, berichtet Luz Giraldo, eine Blumenarbeiterin aus dem Elendsviertel El Sosiego in Bogotás Vorort Madrid. Monatlich verdient sie den gesetzlichen Mindestlohn von 250 Mark. Damit muss die allein stehende Mutter ihre drei Kinder ernähren. „Wenn wir krank werden, warten wir vier Wochen auf einen Arzttermin“, sagt die hagere Frau. „Und wenn ich wegen Kopfschmerzen einen Tag zu Hause bleibe, ziehen sie mir drei ab. Außerdem zahlen sie nie pünktlich: Immer haben sie eine Ausrede.“

Fast ausschließlich BlumenarbeiterInnen mit ihren Familien wohnen in El Sosiego – insgesamt über zwölftausend Menschen. Fließendes Wasser – von zweifelhafter Qualität – gibt es alle drei Tage für jeweils sechs Stunden. Eine direkt an den Stadtteil grenzende Plantage hingegen wird rund um die Uhr durch betriebseigene Brunnen versorgt. Kinder spielen an offen liegenden Abwasserkanälen. Die ungepflasterten Straßen zwischen den Backsteinbauten verwandeln sich nach jedem Regenfall in unhygienische Schlammschneisen. Kühe laben sich an vielfach besprühten Nelkenabfällen.

Die Blumenbranche ist in vieler Hinsicht typisch für das sozial- und arbeitspolitische Klima im Andenstaat: Unabhängige Gewerkschaften gibt es nach einer Repressionswelle in den Achtzigerjahren nur noch vereinzelt. Immer häufiger greifen Kurzzeitverträge mit ungenügender sozialer Absicherung um sich. Die Inflation frisst die nominalen Lohnzuwächse auf niedrigstem Niveau auf. Viele Arbeitsuchende stammen aus ländlichen Regionen, die vom Krieg zwischen Guerilla, Armee und Paramilitärs heimgesucht werden. Und nicht zuletzt zerrüttet der Kampf ums Überleben viele Familien und gibt dem Kreislauf der Gewalt neue Nahrung.

Die Behörden sind ineffektiv und überfordert. Seien es nun arbeitsrechtliche Konflikte oder gesundheits- und umweltschädliche Auswüchse – beim Fehlen einer unparteiischen Schieds- und Kontrollinstanz gilt das Recht des Stärkeren. In diesem Fall das der kapitalkräftigen Blumenunternehmer.

So entließ die Firma Flores la Vereda vor einigen Jahren alle ArbeiterInnen bis auf drei und heuert seither nur noch über Subunternehmer an. So wurden die Sozialabgaben auf ein Minimum gesenkt und wurde die Gewerkschaft entmachtet. Die meisten Gekündigten konnten bei anderen Betrieben unterkommen, doch zu viel schlechteren Bedingungen: keine Kantine mehr, kürzere Mittagspausen, höheres Arbeitstempo. Je geringer der Lohnkostenanteil, so das Kalkül, desto wettbewerbsfähiger auf dem Weltmarkt. Für monotone Arbeiten, die keinerlei Ausbildung erfordern, finden sich immer auch Fünfzehn- bis Siebzehnjährige.

Wissenschaftliche Untersuchungen der staatlichen Universidad Nacional belegen detailliert die Verschwendung und Verschmutzung der Wasserreserven, den extensiven und oft unsachgemäßen Einsatz von Pestiziden und die vielfältigen Erkrankungen, unter denen die BlumenarbeiterInnen überproportional zu leiden haben.

Rund zwei Drittel der Beschäftigten sind Frauen. Deren soziale Lage habe sich in den Neunzigerjahren noch verschlechtert, sagt die Soziologin Olga Ortiz. Besonders gravierende Folgen habe die Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse: „Durch den ständigen Wechsel des Arbeitsplatzes sind stabile Beziehungen oder Familienverhältnisse für die meisten Frauen Illusion“, meint die Forscherin, die eine ausführliche Studie zum Thema „Identität und Gefühlsleben der Blumenarbeiterinnen“ verfasst hat. Positiv vermerkt sie, dass viele Frauen durch die Arbeit autonom und selbstbewusster geworden seien: „Sie lassen sich von den Männern nicht mehr alles gefallen.“ Doch seien die Blumenfirmen als Arbeitgeber nicht mehr so begehrt wie früher, viele Frauen zögen gar die Tätigkeit als Hausangestellte vor.

Doch es gibt auch Gegenbeispiele. Flores Silvestres liegt in der hügeligen Landschaft im Osten von Medellín. Keine Spur von Monokultur – nur ein Sechstel des gesamten Areals ist mit Gewächshäusern bedeckt, daneben Weiden und Wälder. Die 380 Beschäftigten aus dem nahe gelegenen Carmen de Viboral haben allesamt Festverträge. Über den Lohn hinaus erhalten sie großzügige Sozialleistungen. Stolz führt uns Geschäftsführer Luis Miguel Llano über das Gelände und in die Verpackungshalle. Von hier werden die Blumen über den Flughafen Rionegro direkt nach Miami verfrachtet.

Die Region ist eine Hochburg des „Heers zur nationalen Befreiung“ (ELN), des zweitgrößten Guerillaverbands Kolumbiens, der immer wieder durch Massenentführungen von sich reden macht. Llano bestreitet, dass seine Firma Zwangsabgaben an die Rebellen zahle. „Doch sicher trägt die Guerilla dazu bei, dass die Betriebe hier ihre Angestellten gut behandeln“, räumt er ein.

Vom Flower Label Program (FLP) der europäischen „Blumenkampagne“ hat er gehört, doch er sieht keinen Anlass, einzusteigen – solche Entscheidungen würden vom Exportverband Asocolflores in Bogotá getroffen. Flores Silvestres nimmt an dessen Umweltprogramm Florverde (Grüne Blume) teil. Wasserverbrauch und Pestizideinsatz werden auf ein Minimum reduziert, organische Kompostierungsverfahren entwickelt. Sogar eine eigene Kläranlage gibt es.

Menschenunwürdige Arbeits- und Wohnverhältnisse, wie sie in der Hochebene von Bogotá anzutreffen sind, waren vor zehn Jahren der Ausgangspunkt für die Blumenkampagne. Die intensive Öffentlichkeitsarbeit zeitigt Wirkung: Florverde als „Instrument zur Verteidigung der kolumbianischen Blumenindustrie“ sei ein direktes Ergebnis des FLP, meint Frank Braßel von der Menschenrechtsorganisation FIAN. Auch Chemiemultis wie damals noch Ciba Geigy oder die Hoechst-Schering-Tochter Agrevo hätten bereits 1995 ihre giftigsten Pestizide vom Markt genommen. Doch die soziale Seite werde noch vernachlässigt.

Kein Zufall ist es daher, dass Kolumbien 1999 Blumen im Wert von nur 6,1 Millionen Dollar nach Deutschland lieferte – weniger als ein Zehntel seiner Exporte in die EU und nur 1,2 Prozent der gesamten Ausfuhren. Äußerst gereizt reagiert denn auch Asocolflores-Vorsitzender Germán Botero, wenn man ihn auf die Blumenkampagne anspricht. „Diese NGOs weigern sich, die Vorzüge von Florverde anzuerkennen, denn ihnen geht es nur um Macht“, behauptet er. „Sie beharren auf dem FLP, um besser vor den Verbrauchern in Deutschland dazustehen.“

Den größten inhaltlichen Dissens sieht er im Beharren des FLP auf Gewerkschaftsfreiheit. „Im gesamtkolumbianischen Vergleich ist der Organisationsgrad in der Blumenbranche überdurchschnittlich hoch“, meint Botero, „deswegen hat das Thema für uns keine Priorität.“ Auf keinen Fall werde man vor den NGOs in die Knie gehen. Damit haben sich die Fronten sogar verhärtet. Noch vor einigen Jahren hatten sich einige Firmen zum Verbund Ecoflor zusammengeschlossen und sich gegenüber den Forderungen der Blumenkampagne aufgeschlossen gezeigt. Mittlerweile ist diese Initiative in Florverde aufgegangen. Im Oktober präsentiert Asocolflores das Florverde-Programm, das von etwa der Hälfte seiner Mitgliedsbetriebe getragen wird, in Deutschland. Doch es gibt eine Glaubwürdigkeitslücke: Anders als beim FLP überwacht hier kein unabhängiges Kontrollgremium die Standards.

Während das FLP versucht, einzelne kolumbianische Firmen zu gewinnen, gelingt es dem Verband der Exporteure bisher, die Reihen geschlossen zu halten. Aus „rein politischen Gründen“, so Braßel, bringe Asocolflores diese Unternehmen um Chancen in Europa. Auch die kolumbianische NGO Cactus, die einen Beratungsdienst für BlumenarbeiterInnen im Norden Bogotás unterhält, hofft auf „Risse“ im Unternehmerlager.

Ob vielleicht die jüngsten Veränderungen in der Blumenbranche, immerhin dem drittwichtigsten Devisenbringer Kolumbiens, dazu beitragen? Vor zwei Jahren hat sich der US-Obstmulti Dole in großem Stil eingekauft und kontrolliert jetzt Unternehmen mit insgesamt achthundert Hektar Land – knapp ein Fünftel der Anbaufläche auf der Hochebene Bogotás.

GERHARD DILGER, 41, ist Brasilienkorrespondent der taz

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