: Fair for Fun
Produkte, die ihren Erzeugern in der Dritten Welt mehr als Hungerlöhne bringen, finden sich bei uns nur in Nischen. Selbst in Kaufhäusern wird beispielsweise fair gehandelter Kaffee in den unteren Fächern der Verkaufsregale versteckt. Als schäme man sich, ihn anzubieten
von VERENA KERN
Der teuerste Kaffee der Welt stammt aus Jamaika. Es heißt, seine Bohnen wachsen nur in den Höhenlagen eines einzigen Bergs, des Blue Mountain, der Geschmack des Kaffees sei sagenhaft.
In leuchtend goldenen Paketen verpackt liegt er nun hier, in der „Feinschmeckeretage“ des Berliner Kaufhauses KaDeWe. Genau in der Mitte des dunkelbraunen Regalensembles im Stil eines Kolonialwarenladens, in dem das Kaufhaus der besonderen Produkte mit den besonderen Preisen mehrere hundert Sorten Kaffee anbietet. Man muss nur die Hand ausstrecken und danach greifen. Das Pfund „Blue Mountain Wallenford“ kostet 178 Mark.
Nur einen Schritt weiter, im Nebenregal, ist das Fair-Trade-Sortiment aufgereiht. Ein gutes Dutzend Kaffees auf zwei Regalmetern, darunter ein fairer Kaffee der Rösterei Darboven, auch er wie der Luxuskaffee im goldenen Paket, auch er mit auffallend kleiner Schrift bedruckt. Die Preise sind zivil, um die zehn Mark für ein halbes Pfund.
Es ist dieselbe Preiskategorie, die der Kaffeegigant Jacobs mit seiner neuen Produktgruppe „Kaffeewelten“ besetzt, die, im bunten Ethnodesign verpackt, eine ganze Regalwand füllt und von einem firmeneigenen Kaffeeausschank mit zwei Hostessen flankiert wird. Der Fair-Trade-Kaffee aber ist Bückware, im Regal ganz unten platziert. So ist es mit fairen Produkten: Es gibt sie, aber man muss sie suchen.
Seit zehn Jahren wird in Deutschland „fairer“ Kaffee nicht mehr nur in Dritte-Welt-Läden, sondern auch in Supermärkten und Warenhäusern angeboten. Bei Karstadt und Hertie, bei Rewe, bei Tengelmann und Kaiser’s, bei Kaufhof, bei Lidl & Schwarz, bei Globus, bei der Metro. Die Zahl der beteiligten Filialen ist seit den ersten Testläufen 1989 auf inzwischen über fünftausend gestiegen, Bioläden nicht mitgerechnet.
Aber – und beim „fairen Handel“ gibt es immer mindestens ein Aber – von einem flächendeckenden Angebot kann keine Rede sein. Fair-Trade-Produkte werden, ganz logisch, nur von Unternehmen verkauft, deren Sortiment ohnehin dem Motto „Qualität hat ihren Preis“ folgt. Die „faire“ Ware, heißt es dann, „passt gut ins Sortiment“. Höherwertig, höherpreisig. Für Aldi und die anderen Discounter, deren Verkaufsargument der niedrige Preis ist, kann das, ebenfalls logisch, kein Thema sein.
Fair-Trade-Produkte sind Nischenprodukte; die eine Nische heißt „Weltladen“, die andere „Premiumsegment“.
Auch die Produktvielfalt lässt zu wünschen übrig. Die Gepa (Gesellschaft zur Förderung der Partnerschaft mit der Dritten Welt) beispielsweise, die größte Fair-Handels-Organisation Europas, bietet mittlerweile mehrere hundert Produkte an. Rotwein aus Algerien, Orangensaft aus mexikanischen Orangen, Basmatireis aus Indien, Musikinstrumente aus Afrika, Schmuck aus Lateinamerika oder Fußbälle aus Pakistan. Supermärkte, Warenhäuser und Bioläden aber haben neben dem Kaffee, dem nach wie vor mit Abstand größten Posten im fairen Handel, zumeist nur Tee in ihrem Sortiment, seltener auch Kakao, Honig und Schokolade.
Es ist Mittagszeit. Die Lebensmittelabteilung im KaDeWe mit ihren Gourmet- und Schlemmerständen beginnt sich zu füllen. Touristen aus aller Welt und ein Querschnitt der Berliner Weststadt schlendern durch die Warenwelt. Junge Männer in Lederklamotten ziehen vorbei, Mütter mit unförmigen Babykarren. Seniorengruppen, die im Wintergarten zu Mittag gegessen haben, machen ihren Verdauungsspaziergang. Das erste Bier wird getrunken, das erste Glas Wein, der erste Champagner. Die Kaffeebar ist gut besucht. Es gibt Pflaumenkuchen vom Blech.
Die Verkaufsregale interessieren jetzt weniger. Und was ist mit Fair-Trade-Kaffee? „Die Idee des fairen Handels ist natürlich absolut unterstützenswert“, sagt ein Kunde, wiegt den Kopf, lächelt freundlich, sagt noch einmal: „Wirklich, absolut unterstützenswert.“ Kaufen wird er den „fairen“ Kaffee trotzdem nicht. Warum nicht? „Schwer zu sagen.“ Es gibt da Vorbehalte, die nicht am Preis liegen, sondern grundsätzlich sind und sehr schwer zu greifen. Aber es reicht, dass sie da sind.
Mit diesen Vorbehalten hat auch Bernd Schott immer wieder zu tun. Der Umweltberater der Karstadt Warenhaus AG in Essen ist zuständig für Öko- und Fair-Trade-Produkte. Die fairen Lebensmittel, berichten ihm Abteilungsleiter in den Filialen, verkaufen sich schlechter, wenn sie auf einem gesonderten Regal angeboten werden. Es scheint bei den Kunden psychische Barrieren zu geben, einen Kaffee zu kaufen, der als Nischenprodukt erkennbar ist.
Seit 1999 bewirbt Karstadt sein „faires“ Sortiment „intensiv“, wie Schott sagt. Zum Kampagnenstart trat Umweltminister Jürgen Trittin auf, seitdem laufen jedes Jahr in einem Bundesland spezielle Werbeaktionen. Mit Flugblättern und, ganz wichtig, Verköstigungsständen, an denen Kunden die Qualität der Produkte prüfen können.
Aktionen finden, so Schott, „großen Anklang“. Aber zum Kauf bewegen lassen sich die wenigsten. Nur ein Prozent des Lebensmittelumsatzes erzielt Karstadt mit „fairen“ Produkten. „Es ist wie im Ökobereich“, sagt Schott. „Zwischen dem grundsätzlichen Ja zum Umweltschutz und dem tatsächlichen Verhalten der Verbraucher liegen Welten.“
Fair-Trade-Produkte sind in gewisser Hinsicht ganz normale Produkte. Um sie verkaufen zu können, muss ein Nutzwert vermittelt werden, der über das prinzipielle Ja zur guten Sache hinausgeht. Qualität, Geschmack, Ästhetik, Gesundheit, Sicherheit. Sonst wird der Preis zum Hauptargument. Und da sind die Kunden, wie eine Tengelmann-Sprecherin sagt, „nicht mehr bereit, so viel zu zahlen“. Nur Weihnachten ist das anders. Da, hat man im KaDeWe festgestellt, steigt das Interesse an „fairem“ Kaffee und Tee.
Früher Nachmittag. „Gerade ist wieder ein Bus angekommen“, juxen die Mitarbeiter des Weltladens am Berliner Breitscheidplatz, unten im Glockenturm der Gedächtniskirche. Ein Schwung Touristen schwappt herein, umspült einmal das enge Ladenrondell und drängt wieder hinaus. Gelegentlich mit einem Zwischenstopp an der Kasse. Kalebassenrasseln aus Kenia, 15 Mark. Seidentücher aus Indien, 24,50 Mark. An der Decke schrumpeln die Luftballons vom 25-jährigen Jubiläum des Ladens in diesem Sommer.
„Die Lage ist natürlich optimal“, sagt Renate Neumann, diplomierte Betriebswirtin, seit 22 Jahren hauptamtliche Geschäftsführerin. Touristen kommen jeden Tag, und ein kleines Souvenir nimmt man gerne mit nach Hause. Die Kirche verlangt keine Miete, nur eine Kostenbeteiligung. Die meisten Mitarbeiter sind ehrenamtlich tätig.
Das Sortiment ist weltladentypisch, eine Mischung aus schönen Produkten, Krimskrams, Dritte-Welt-Folklore und Lebensmitteln, die sich allenfalls in der Gestaltung von Etikett und Verpackungsdesign von normalen Supermarktprodukten unterscheiden. „Früher kauften die Leute aus Wohltätigkeitsgründen“, sagt Renate Neumann. „Heute wollen sie Sachen, die nützen.“ Wenn etwas nicht läuft, wird es so lange billiger angeboten, bis es verkauft werden kann. Wenn etwas gut läuft, macht man es teurer. So geht die Kalkulation.
Rund 750 Weltläden und sechstausend entwicklungspolitische Aktionsgruppen gibt es bundesweit. Die meisten entstammen dem kirchlichen Bereich. Gewinn zu machen ist nicht ihr Ziel. Ihnen geht es um den „Dienst am Anderen“. Sie sind die Überzeugungstäter, die es unter den Kunden kaum noch gibt. „Die Ware ist für uns ein Medium“, sagt Renate Neumann, „sie dient uns als Abholeffekt.“ Denn eigentlich geht es um „Bewusstseinsschaffung“, darum, „die Leute aufzuklären“.
Die Ware als Medium, das gilt auch für die Großverbraucher. Jene Firmen, kommunale Einrichtungen, Studentenwerke und Krankenhäuser, die in ihren Kantinen oder Büros „fairen“ Kaffee ausschenken. RWE, die Telekom, Hewlett Packard, HEW, Schwäbisch Hall, VW, der Otto Versand. Viele Firmen wollen ihr Engagement gar nicht „an die große Glocke hängen“, sagt Gepa-Pressesprecherin Barbara Schimmelpfennig.
„Denen geht es vor allem um die interne Kommunikation, um das soziale Klima.“ Und um die Signalwirkung. Im Büro von Minister Trittin wird nur Trans-Fair-Kaffee getrunken, und seit Anfang des Jahres lässt auch Bundespräsident Rau Gäste des Schlosses Bellevue mit Kaffee, Tee und Orangensaft aus fairem Handel bewirten.
Kurz vor Feierabend. Der Wrangelkiez im hinteren Kreuzberg wirkt gut belebt, auch wenn einige Läden leer stehen, seit längerem schon. Achim Kruse hat gerade seinen Laden geöffnet, sitzt nun mitten in dem kleinen Raum an seinem Schreibtisch, telefoniert, raucht, telefoniert. „Bahia“ heißt der Laden, der seit vier Jahren Kunsthandwerk aus fairem Handel anbietet.
Auch Kruse ist Überzeugungstäter. Und er ist desillusioniert. „Der Dritte-Welt-Handel“, davon ist der studierte Geograf überzeugt, „ist in der Krise.“ Vielleicht ist die Krise aber seine eigene, weil er von seinem Laden leben will, weil die Umsätze sinken, weil die Konkurrenz stärker wird. „In jedem Kaufhaus kann man inzwischen Figuren aus Afrika kaufen – nicht fair gehandelt natürlich“, sagt Kruse. „Warum soll man für etwas mehr Geld ausgeben, wenn man es auch billiger bekommt?“ Aus Überzeugung? Kruse lacht. „Den Leuten ist es doch piepegal, ob irgendwas fair gehandelt ist oder nicht“, sagt er. „Gekauft wird knallhart nach Preis.“
Eine Kundin mischt sich ein, auch sie teilt Kruses Meinung. Warum ist sie dann hier? Sie zögert, tut sich schwer mit der Antwort. „Vielleicht weil man hier mit weniger schlechtem Gewissen einkauft“, bietet sie schließlich als Erklärung an. „Aber eigentlich suche ich nur nach einem Geschenk, bei dem man davon ausgehen kann, dass der andere es nicht schon hat.“
Mit seinem Kunsthandwerk bewegt sich Kruse in einem schwierigen Markt. Insgesamt aber kann der Non-Food-Bereich im fairen Handel Zuwächse verzeichnen. Und das liegt vor allem an Produkten, für die ein Verbraucherbewusstsein nicht erst geschaffen werden muss, weil es längst da ist. Teppiche, die nicht in Kinderarbeit hergestellt werden, Textilien, die biologisch angebaut sind und für die ein fairer Preis gezahlt wird. In beiden Bereichen ist der Otto Versand besonders engagiert. Gerade zu den Arbeitsbedingungen im Textilbereich erhält das Unternehmen „sehr viele Anfragen von Kunden“, sagt Pressesprecherin Heike Hartung.
Seit drei Jahren führt Otto nun auch Geschenkartikel, bietet auf zwei Seiten in seinem Katalog Gepa-Produkte an. Erfolgreich? „Davon können Sie ausgehen“, sagt Hartung. „Sonst wären die Produkte nicht mehr im Katalog.
VERENA KERN, 36, ist freie Autorin in Berlin
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