: Was von der Schande übrig blieb
Herbst 1999: Die DVU ist Katastrophe, Schrecken. Herbst 2000: Die DVU-Abgeordneten werden per Handschlag begrüßt – und angeblich bewundert
aus Potsdam JENS RÜBSAM
Wer die „Schande“ suchen, wer die „Katastrophe“ erleben, wer des „Schreckens“ gewahr werden wollte im Land Brandenburg, der begab sich auf den Potsdamer Brauhausberg. Schon am Fuße des Hügels eine Schleuse. Am Hoftor die Patrouille der Sicherheitsbeamten. An der Pforte des Landtages ein dritter Check. Ausnahmezustand auf märkischem Polit-Terrain. Die Union rief in jenen Herbsttagen gar nach dem Weihnachtsmann.
Der kam – in der Gestalt von Landtagspräsident Herbert Knoblich. Weil der Einzug der „Schande“ (CDU), der Eintritt der „Katastrophe“ (Grüne), das Eindringen des „Schreckens“ (SPD) außergewöhnliches Handeln erforderte, gab Hausherr Knoblich gern schon mal im September den gütigen Ruprecht. Er verschenkte „gute fünfzehn Zentimeter“, gewünscht von der Christenunion, die sich nicht zu nah an der Sitzreihe einer verfemten Partei sehen wollte.
Es herrscht große Ruhe im Haus
Die Deutsche Volksunion musste Sozialdemokrat Knoblich dem Koalitionspartner CDU vom Leibe halten. Die Rechtsextremen – vom Rednerpult im Plenarsaal aus gesehen sowieso schon rechts außen – wurden noch ein Stück weiter in Richtung Wand gerückt. Dann konstituierte sich der Brandenburger Landtag.
Was geschehen ist auf dem Potsdamer Brauhausberg im Herbst 1999, wird heute, ein Jahr später, nur noch beschmunzelt. Der Sprecher der Grünen macht längst nicht mehr die „Katastrophe“ aus. Die CDU-Fraktionsvorsitzende lässt zwar nach wie vor nicht vom Begriff der „Schande“, aber so bissig wie einst führt sie das Wort auch nicht mehr im Mund. Und SPD-Landtagspräsident Knoblich lehnt sich in seinem schwarzen Ledersessel erst einmal gemächlich zurück, bevor er zu Protokoll gibt: „Es herrscht eine große Ruhe im Haus.“
Auf den Fluren grüßen die Demokraten inzwischen recht freundlich die Abgeordneten von der DVU. In den Ausschüssen gibt man sich nunmehr die Hand. In der Landtagskantine tauscht man Tipps: „Den Schweinebraten empfehle ich Ihnen heute nicht.“ „Und es passiert durchaus auch“, frohlockt Sigmar-Peter Schuldt, Parlamentarischer Geschäftsführer der DVU, „dass ein Abgeordneter einer anderen Partei zu mir kommt und sagt: ,Ein toller Antrag, da hätte ich applaudiert`.“ Wer da kommt? Wer da klatschen wollte? „Das sage ich nicht“, sagt Herr Schuldt.
Die fünf DVUler – vor einem Jahr von 58.225 Brandenburgern (5,28 Prozent) und zum Entsetzen aller Welt in den Landtag gehievt – scheinen der märkischen Demokratie keinen Schaden zugefügt zu haben. Eher sich selbst. Einer Infratest-Umfrage dieser Tage ist zu entnehmen: Wären heute Wahlen, würde die DVU eine Bruchlandung hinlegen.
Im freien Fall, nach nur zwölf Monaten – wer nach Gründen sucht, muss an Sitzungstagen nur im Plenarsaal vorbeischauen und an Nichtsitzungstagen in den Büroräumen. Wo auch immer man das unionsvölkische Häuflein beobachtet, fünf Abgeordnete sind auszumachen – meist gelangweilt und mal schäumend, meist trotzig und mal hämisch, am liebsten aber heben sie zur Klage an: „Die DVU wird diffamiert.“ Dann zitieren sie eine Kommunistin, Rosa Luxemburg: „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden.“
Doch was die Braunen denken, schreckt niemanden mehr im Brandenburger Landtag. Keiner will es wissen. Ob nun die engelsgleiche Fraktionsvorsitzende Hesselbarth zum Rednerpult huscht oder der schwergewichtige Geschäftsführer Schuldt oder die biestige Abgeordnete Fechner, egal wer sich von ganz rechts außen aufmacht, um das Wort zu erheben, geschwind lichten sich die Reihen der restlichen Fraktionen.
Wer drinnen bleibt im Plenarsaal, den beschleicht beim Auftritt von Liane Hesselbarth „ein Gefühl des Mitleides“ und beim Gepolter von Sigmar-Peter Schuldt „ein Widerwillen“ (CDU-Fraktionsvorsitzende Blechinger), der hört „ganz einfach nicht mehr zu“ und stellt „keine Zwischenfragen mehr“ (PDS-Innenexperte Schumann). Muss auf einen Antrag reagiert werden, gilt bei den Fraktionen der Regierungsparteien SPD und CDU die Verabredung: Nur einer ihrer Abgeordneten nimmt Stellung, möglichst kurz, möglichst knapp.
Ist auch das schon zu viel? Oder sollte man sich auseinander setzen mit den Rechten? Hält man sich an den Satiriker Wiglaf Droste, der fragt: „Wir sollen mit den Nazis reden? Haben sie uns denn etwas zu sagen?“ Oder lässt man die DVUler vor Fernseh- und Saalpublikum ungestört schwadronieren? Etwa den Abgeordneten Schuldt, der schon mal von der Bedrohung der „deutschen Urbevölkerung“ durch „ausländische kriminelle Gruppierungen“ spricht. Etwa die Abgeordnete Hesselbarth, die erst in der letzten Landtagssitzung bedauert, dass „national gesinnten Bürgerinnen und Bürgern Bankkonten gekündigt werden“.
Minuten zuvor hatten sich die Landtagsparteien SPD, CDU und PDS gemeinsam gegen rechtsextreme Gewalt, für ein tolerantes und weltoffenes Brandenburg und für mehr Zivilcourage ausgesprochen. Einzig die fünf DVUler lehnen den Entschließungsantrag ab – „nur weil der Linksextremismus völlig ausgeblendet wird“, wie Abgeordneter Schuldt festgehalten wissen will.
Stattdessen bringt die DVU-Fraktion einen eigenen Antrag ein („Gewalt und Diskriminierung – für Demokratie und Rechtsstaat“), einen, den die SPD als „skandalös“ wertet, die CDU als „Antrag nicht gegen, sondern für rechts“ empfindet und die PDS als einen Antrag „nicht in Sorge um die Opfer, sondern um die Täter“ betrachtet.
Die Deutsche Volksunion: verfolgt
„Wir als Fraktion der Deutschen Volksunion“, sagt Fraktionsvorsitzende Liane Hesselbarth, „lassen uns in der entschiedenen Verurteilung ausländerfeindlicher und sonstiger Gewalttaten von niemanden übertreffen.“ Aha! Es sei „eine beispiellose Hetze gegen alles entfacht, was für politisch rechtsextrem, national, patriotisch oder auch wertkonservativ gehalten wird.“ Soso! Die Landesregierung „vergifte“ durch „ihre Kampagnen das politische Klima“. Applaus von rechts außen.
Die Abscheu vor der DVU schweißt zusammen. „Eine inhaltliche Auseindersetzung mit den Rechten findet nicht statt“, ist unisono aus den Reihen der SPD, CDU und PDS zu vernehmen. Was Wunder. In schöner Regelmäßigkeit vermengen die Rechten gesellschaftlichen Sozialprotest mit völkischem Hass. Herr Schuldt wettert in der ersten Aktuellen Stunde der DVU in Sorge um die Deutschen gegen Ausländer. Die DVU-Fraktion dringt auf Verschiebung der europäischen Osterweiterung um zehn Jahre, weil „vorher erst Polen und Tschechien das begangene Unrecht an den Heimatvertriebenen wieder gutmachen müssen“. Und als 116 Asylbewerber aus dem Städtchen Rathenow in einem Schreiben auf ihre katastrophalen Lebensbedingungen und auf lokalen Rassismus aufmerksam machen, fragt Herr Schuldt an: „Wie viel kriminelle Energie geht von den Asylbewerbern in Rathenow aus?“ Vor Ort war Herr Schuldt noch nie.
Von den 581 bis Mitte Juli eingebrachten Kleinen Anfragen in den Landtag stammen allein 275 von der DVU, etwa: „Wie viele so genannte Autonome gibt es im Land und an welchen Orten leben sie?“, oder „Wie viele der Drogenhändler sind Ausländer?“ Anträge wie folgt werden formuliert: „Bußgelder gegen Graffiti-Sprayer“ und „Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes“. Bienchenfleiß könnte man der DVU bescheinigen. Als „die Verwaltung lahm legen wollen“ werten die politischen Gegner die Antrags- und Anfragewut.
In ihrem Eifer sind die märkischen DVUler nicht zu übertreffen. Einmal fordern sie die Abschaffung des Landesamtes für Verfassungsschutz. Ihr Pech: Im Land Brandenburg gibt es kein Landesamt für Verfassungsschutz, lediglich eine Verfassungsschutzabteilung im Innenministerium. „Ein Schreibfehler eines Mitarbeiters“, entschuldigt sich Geschäftsführer Schuldt. Die Demokraten hegen sofort eine andere Vermutung: Reden und Anträge der märkischen DVU werden in der Münchner Parteizentrale geschrieben. „Ich schreibe 100 Prozent alles selber. Da spreche ich bei Gott“, sagt Herr Schuldt.
Wer heute Sigmar-Peter Schuldt am Arbeitsplatz antreffen will, der hat erst einmal eine kleine Hürde zu nehmen: Ein Kameraauge, angebracht an der Eingangstür zum DVU-Trakt. Sicher wie ein Schweizer Nummernkonto sind die Räumlichkeiten der Rechten. „Wenn wir als normal angesehen würden“, beschwert sich der Geschäftsführer, „bräuchten wir das alles nicht.“
Videoüberwachung für die DVU
„Vielleicht könnten wir das heute anders regeln“, sagt sogar Parlamentspräsident Knoblich. Vor einem Jahr noch, als gegen die „Nazis im Landtag“ heftig protestiert wurde und Autonome versuchten, in das Gebäude einzudringen, hat sich die Verwaltung für das Sicherheitskonzept entschieden. Nur die Bodyguards, mit denen die DVUler plötzlich auftauchten, gingen dem Präsidenten zu weit. Er belehrte sie: Das Tragen von Waffen im Landtag ist nicht erlaubt.
Was erlaubt ist als Parlamentarier, der monatlich rund 3.400 Mark kassiert und dessen Fraktion jährlich rund 1,35 Millionen Mark einsteckt, ist Ansichtssache. Die Abgeordnete Hesselbarth sitzt dem Ausschuss für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr vor. „Ich wüsste nicht, was sie selbst eingebracht hat“, urteilt Winfried Schrey (CDU). Der Abgeordnete Firneburg sitzt im Innenausschuss. „Ich nehme ihn in der Regel als stumm wahr“, resümiert Michael Schumann (PDS). Der Abgeordnete Schuldt sitzt im Rechtsausschuss. „Diskussionsbedarf sieht er nur dann, wenn es im Bereich Strafvollzug um Ausländer geht“, sagt Barbara Richstein (CDU). „Wir versuchen, eine vernünftige parlamentarische Arbeit zu leisten“, sagt Sigmar-Peter Schuldt (DVU).
Wers glaubt. Die Teilnahme am Holocaust-Gedenktag lehnt die DVU ab, „weil dem Leiden des deutschen Volkes nicht gedacht wird“. Die Resolution gegen rechts trägt sie nicht mit, „weil sie einseitig ist“. Dass pro Woche im Land Brandenburg mindestens drei Ausländer von rechten Prügelknaben zusammengeschlagen oder beleidigt werden, zählt nicht für Herrn Schuldt.
Was zählt, ist die Bedrohung von links. Morddrohungen gegen DVUler, Patronen in Briefumschlägen, Tätlichkeiten im Wahlkampf. Wie viele Übergriffe von Linken auf Ausländer ihm bekannt sind? „Da müsste ich nachschauen“, sagt Sigmar-Peter Schuldt. Er schaut nicht nach. Er würde nichts finden.
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