: Selbstheilung der Stadt
Bisher betreibt der Staat Privatisierung als Notwehrreaktion. Dabei bietet sie die Chance auf Stärkung der Stadt, selbst im Kerngeschäft öffentlicher Bauaufgaben. Teil II der Serie „B. wie Bürgerstadt“
von HANS WOLFGANG HOFFMANN
Was staatliche Bauherrenschaft bewirkt, beweist ein Blick in die Oderberger Straße: Das hiesige Stadtbad steht seit Jahrzehnten leer. Eigentlich seitdem sein Angebot – warmes Wasser für die Volksgesundheit – nicht mehr zum Daseinszweck gereicht. Denn die Zeiten sind vorbei, da Menschen mehrheitlich ihre Körperpflege durch den Besuch eines öffentliches Bad aufrechterhielten. Heute, wo jeder über seinen privaten Sanitärkomplex verfügt, soll die aquarische Gemeinschaft vor allem Spaß machen. Doch der Staat hat diesen Wandel nicht offensiv begleitet. Er musste es wohl auch nicht, gehört doch Fun fürs Volk nicht zu den Verfassungszielen.
Im Essener Friedrichsbad ging dieselbe Geschichte ganz anders aus. Sicher: Auch hierher kam täglich nur mehr eine Handvoll Besucher, nachdem in der Nähe das Erlebnis-Center „Oase“ öffnete. Ebenso bald sah der staatliche Eigentümer der Immobilie bloß noch deren Betriebskosten. Am Ende sollte die 1912 von Familie Krupp gestiftete Einrichtung geschlossen werden.
Dann aber traten die Privaten auf den Plan, das Friedrichsbad zu erhalten und sein Konzept zu aktualisieren. Ende 1985 übernahmen der lokale Sportbund sowie die Barmer Ersatzkasse den Betrieb und drei Viertel der Finanzlast, die bisher die Stadt Essen zu tragen hatte. Auf eigene Rechnung bauten sie Sauna, Solarium sowie Fitnessstudio und verwandelten die Schwimmanstalt in ein Gesundheitszentrum. Hinzu kamen auch Cafeteria und Tageszentrum, in dem mehrheitlich ganz andere Themen umgewälzt werden. Das Modell war so erfolgreich, dass ihm inzwischen allein in Essen 14 weitere Einrichtungen folgten. Heute ist ihr Nutzen für die Öffentlichkeit weit größer als zu Zeiten staatlicher Bauherrenschaft.
Diese Botschaft ist freilich eine Binsenweisheit. Naturgemäß steht der Nutzen nur für die Nutzer an erster Steller. Dagegen ist Macht der einzige Selbstzweck, den der Staat kennt. Effizient kann er daher nur sein, wo er Gefahrenabwehr betreibt. Da er heute jedoch immer noch weit mehr tut, als für dieses Ziel nötig ist, muss er dabei Verluste einfahren. So ist es auch kein Wunder, dass er das Abgeben seiner Aufgaben nur als Notoperation begreift, um seinen finanziellen Ruin zu verhindern.
Dabei birgt die Privatisierung Chancen! Gerade für die Stadt. Und zwar selbst bei dem, was der Staat immer als sein Kerngeschäft betrachtete: bei der öffentlichen Infrastruktur. In diesem Bereich auf die Selbstheilungskräfte der Stadt zu setzen, ist längst ohne Alternative, da hier der Bedarf – angesichts des Auseinanderdriftens und des Aussterbens der Gesellschaft – so weit zu steigen verspricht, dass er mit schrumpfenden Finanzen nicht mehr zu befriedigen ist. Viel erstaunlicher ist jedoch, dass jener Teil des privaten Sektors zur Lösung dieses Dilemmas beiträgt, in dem man bisher immer den natürlichen Gegenpart zu den Allgemeininteressen sah: die kapitalen Konzerne.
Das bemerkenswerteste Beispiel dazu liefert Lübeck. An der Trave stand seit Kriegsende eine Brücke, an der sich eine Haupteinfallstraße der Stadt mit ihrer wichtigsten Schifffahrtsroute kreuzte. Als sich nun die Altersschwäche der Konstruktion nicht länger kaschieren ließ, vermochte die öffentliche Hand zwar für Ersatz zu sorgen, aber nur in Form einer Klappbrücke, die nur jeweils einen der beiden Verkehrsbedarfe befriedigen konnte. Erst der Essener Baugigant Hochtief entwickelte die nun realisierte Tunnellösung. Er übernimmt deren Mehrkosten – die er per Straßenbenutzungsgebühr binnen 30 Jahren zu refinanzieren erhofft. Was die erste Mautstrecke Deutschlands sein wird, bedeutet zugleich einen Quantensprung in Sachen Public-Private-Partnership: Erstmals übernimmt ein privates Konsortium nicht nur den Bau, den Betrieb und die Bezahlung eines Projekts, sondern auch die Beratung der Kommune. Damit tauschen das erste und das zweite „P“ ihre Positionen.
Dass Private-Public-Partnership Schlüsselinvestitionen zur Daseinsvorsorge trotz öffentlicher Finanzschwäche möglich macht, ist längst belegt. Offen ist indes die Frage, ob der Gemeingewinn nicht noch größer ausfiele, würden Private zu höheren Aufgaben berufen. Spielt man die Privatisierung für die automobile Verkehrsinfrastruktur durch, folgen daraus Vorteile für die Stadt. Sie resultieren daraus, dass marktwirtschaftliche Aktionäre nur bei Nachfrage handeln. Da kapitale Transportbedarfe aber nur auftreten, wo viele Menschen auf wenig Fläche leben, werden vor allem die städtischen Zentren gestärkt.
Den Nutzern die Trägerschaft der öffentlichen Infrastruktur zu überlassen, ist angesichts des derzeitigen Standpunkts des Staates zwar eine weitgehend theoretische Diskussion. Die konkreten Vorteile für die Stadt belegt jedoch ein Beispiel. Es stammt ausgerechnet aus der Staatsstadt Berlin, in der die Kosten-Nutzen-Rechnungen bei Verkehrsinvestitionen nie eine Rolle spielten. In Köpenick kam man erstmals von dem Prinzip ab, dass die Anlieger alle Kosten der Erschließung tragen müssen, ohne auf sie auch nur den geringsten Einfluss zu haben: Erfolgreich verlangten die 17 Grundeigentümer, die neunzig Prozent der Rekonstruktion des Ludwigshöhewegs bezahlen sollten, auch Art und Umfang der Arbeiten zu bestimmen. Gegen das Gesetz ließ man sie gewähren. Prompt reduzierten sie das 500 lange, zum Ausbau vorgesehene Teilstück um ein Viertel. Sie taten es aus durchaus egoistischen Motiven. Denn in ihrer Waldlage bedeuten neue Nachbarn nur Ruhestörung. Im Ergebnis bewirkten sie jedoch, was im Interesse der Stadt liegt: die Erschwerung ihrer weiteren Zersiedlung.
Auch wenn es sich in der kleinen Müggelheimer Straße so ergab: Generell ist das Gemeinwohl noch nicht genügend zu Geltung gebracht, wenn die Nutzer öffentlicher Baulichkeiten nur ihren Nutzen abgelten. Denn – und das wird beim Autofahren besonders deutlich – jeder Gebrauchsakt berührt nicht nur den Nutzer, sondern verursacht fahrlässigerweise immer auch Fremdschäden. Dass diese externen Verluste ausgeglichen werden, wird auch in Zukunft allein der Hoheitsmacht des Staates bedürfen. Freilich muss er weder Besitzer öffentlicher Bauten sein noch selbst den Ausgleich vornehmen. So wie er es bei jedem simplen Crash mit Straßenverkehrsordnung und Gesetzeshütern tut, reicht es letztlich, dass er dafür sorgt, dass bei der Regulierung alles mit rechten Dingen zugeht. Die zentrale Aufgabe des Staates lautet also, sich auf seine Rolle als Anwalt des Allgemeinwohls zu konzentrieren, sie stetig neu zu definieren und dann produktiv auszufüllen. Sie ist freilich für ihn bisher nur eine unter vielen und daher unzureichend erfüllt.
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