piwik no script img

Lynchmord und Gegenangriff

Aus Rache für die mutmaßliche Folterung eines Palästinensers lyncht ein aufgebrachter Mob in Ramallah zwei gefangene israelische Soldaten

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Steine können nicht mit Steinen beantwortet werden, meinte Schimon Peres und erklärte den Einsatz scharfer Munition gegen palästinensische Demonstranten. Die Israelis legen stets eine höhere Gangart ein, wenn es darum geht, ihre eigenen Leute zu schützen. „Wir haben keinen Staat aufgebaut, um Lynchen zuzulassen, sicher nicht an Israelis in Uniform“, kommentierte Efraim Sneh, Israels Vizeverteidigungsminister. In Ramallah herrscht Ausnahmezustand. Nach dem Lynchen zweier israelischer Soldaten ist die Stadt nach allen Seiten hin abgesperrt. Hubschrauber bombardieren die Stadt von oben, und nicht nur Ramallah, sondern auch den Gaza-Streifen.

Der Lynchmord in Ramallah ereignete sich zwei Tage nach der Beerdigung von Issam Judeh Hamad, der nach palästinensischer Vermutung von Soldaten oder jüdischen Siedlern zu Tode gefoltert worden war. Der Vierzigjährige war demnach in eine Siedlung entführt worden, wo ihm mit einem Bügeleisen schwere Verbrennungen zugefügt worden sein sollen. Hamad fehlte außerdem ein Auge, und er hatte einen mehrfachen Schädelbruch. Das israelische Militär sprach von einem Autounfall, was die Palästinenser für unmöglich halten, da in dem Wagen Hamads keinerlei Blutspuren gefunden worden seien. Eine von den Israelis angebotene gemeinsame Untersuchung des Vorfalls hatten die palästinensischen Sicherheitskräfte abgelehnt.

„Mit den Bombardierungen hat Israel den Krieg ausgerufen“, kommentierte der palästinensische Planungsminister Nabil Schaat die jüngsten Entwicklungen. Noch am Morgen hatte die palästinensische Autonomiebehörde ihr tiefes Bedauern über den Tod der beiden Soldaten angekündigt. Dessenungeachtet drohte der israelische Minister für innere Sicherheit Schlomo Ben-Ami, dass die Angriffe fortgesetzt würden. Es ist ein einseitiger Krieg, denn die Palästinenser verfügen über kaum andere Mittel als Steine und Kalaschnikows.

Vielleicht schon mit Blick auf ein endgültiges Ende des Friedensprozesses setzte Palästinenserpräsident Jassir Arafat in den vergangenen Tagen etwa 80 Hamas-Aktivisten auf freien Fuß. Einer der letzten Inhaftierten, für den sich das Tor zur Freiheit öffnete, ist der von Israel seit Jahren gesuchte Mohammed Deif, der für zahlreiche Terrorattentate in Israel verantwortlich ist. Attentate an Stelle von Kriegsgefechten mag eine der palästinensischen Perspektiven sein.

Hoffnung für Arafat birgt vermutlich auch der in gut einer Woche geplante Gipfel der arabischen Liga in Kairo. Zahlreiche arabische Staaten hatten zumindest verbal ihre Bereitschaft zu einer militärischen Aktion gegen Israel signalisiert. Mit den Bomben auf Ramallah und Gaza wird sich diese Bereitschaft nur noch gefestigt haben. Vorläufig zögert Ägypten. Präsident Hosni Mubarak hat sich wiederholt gegen einen Krieg ausgesprochen. Ihm liegt derzeit nicht das Geringste an einer militärischen Auseinandersetzung mit Israel. Wenig wahrscheinlich ist deshalb, dass der Gipfel für Arafat überhaupt in irgendeiner Form von Nutzen sein kann.

Für Israel sieht es mit Blick auf internationale Unterstützung noch düsterer aus. Selbst der letzte Verbündete in Washington appellierte an Jerusalem, die Bombardierungen einzustellen. UN-Generalsekretär Kofi Annan, der sich im Nahen Osten aufhielt, nicht nur um die drei in den Libanon verschleppten israelischen Soldaten zurückzubringen, sondern auch um eine Annäherung zwischen Ehud Barak und Jassir Arafat zu erreichen, packte eiligst seine Koffer und verließ die Region. Die Frage stellt sich, von welcher Seite noch Hilfe zu erwarten ist.

Die Situation ist absurd, wenn man sich ansieht, wie beide Seiten immer tiefer in den Sumpf gerieten. Wenn man schon über das Misslingen der Verhandlungen von Camp David den Kopf schütteln musste, als über die Frage der Souveränität über nur wenige Quadratmeter Land der gesamte Friedensprozess zu scheitern drohte, so sind die Gründe für die heutige Krise noch unverständlicher. Der Gipfel in Paris scheiterte schließlich nur an der Frage, ob eine internationale Untersuchungskommission eingesetzt werden soll.

Was immer wir Arafat geben, er fordert anschließend doch wieder mehr, hieß es im Umfeld von Ehud Barak als Begründung für die israelische Hartnäckigkeit in Sachen internationale Untersuchungskommission. Israel hat in jüngster Zeit nicht selten nachgegeben. Angefangen mit der Liste der Kompromisse von Camp David, wo Barak zum ersten Mal öffentlich die Teilung Jerusalems erwog, bis hin zur Aufgabe des Josefsgrabs in Nablus.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen