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Der unterschlagene Teil der Geschichte

Die islamische Theologin Halima Krausen arbeitet bei der Initiative für islamische Studien in Hamburg über Frauengeschichte im Islam. Eine Thema, das auch hierzulande völlig unterrepräsentiert ist und Widerstand provoziert

Halima Krausen kann sich noch gut an ihre Wut erinnern. Vor vielen Jahren, durch einen Artikel über Frauengeschichte im Christentum angeregt, fragte sich die islamische Theologin, was sie eigentlich über Frauen aus der islamischen Geschichte wisse. Und sie fing daraufhin an, in geschichtlichen und biografischen Werken zu stöbern. Zu ihrer Überraschung fand sie zahlreiche Frauen in verschiedenen Epochen. Sie haben sich als Gelehrte hervorgetan, gaben Überlieferungen vom Propheten Mohammed weiter oder unterrichteten beide Geschlechter in arabischer Grammatik und Rechtswissenschaften. Von der Dichtkunst ganz zu schweigen. Aus dieser Beschäftigung ist inzwischen eine fünfteilige Serie entstanden, die die Theologin in einer deutschsprachigen islamischen Zeitschrift veröffentlichte und ins Internet stellte.

Krausen, die als Dozentin bei der Initiative für islamische Studien in Hamburg arbeitet, erlebte noch viele Überraschungen. Sie stellte fest, dass die männliche Sicht sich durch fast alle Aspekte des Islam hindurchzieht, angefangen beim Gottesbild. Stets werden Eigenschaften Gottes betont, die ein einseitiges, männlich verstandenes Bild abgeben, meint Krausen. In ihrer theologischen Arbeit setzt sich Halima Krausen mit dem Koran und mit den überlieferten Aussprüchen und Taten des Propheten Mohammed auseinander.

Um diese Quellen verstehen und vor allem alternative Auslegungen anbieten zu können, ist viel historisches Hintergrundwissen notwendig. Zum Beispiel ist es unerlässlich zu wissen, aus welchem Anlass ein bestimmter Koranvers entstanden ist oder welche sozialen Gegebenheiten auf der arabischen Halbinsel im 7. Jh., als der Islam entstand, herrschten. Und gute Kenntnisse im klassischen Arabisch sind unverzichtbar. In jahrelangem Studium hat sich die Theologin diese Grundlagen angeeignet.

Ein Beispiel für ihre Vorgehensweise ist die Auslegung des Koranverses 282 aus der zweiten Sure. Dort wird festgelegt, dass zwei Männer zu Zeugen genommen werden sollen oder ein Mann und zwei Frauen. Diese Bestimmung wurde über Jahrhunderte herangezogen, um Musliminnen vom öffentlichen Leben auszuschließen. Zunächst stellt Halima Krausen fest, dass es sich nicht um einen allgemeingültigen Vers handelt, sondern dass damit nur eine bestimmte Art von Darlehensverträgen gemeint ist, die schriftlich festgelegt werden sollten. Und da Frauen in der damaligen Gesellschaft nicht als adäquate Partner in diesen Geschäften in Betracht kamen, bot der Koran die Möglichkeit, zwei Zeuginnen heranzuziehen. Dann führt sie sprachliche Untersuchungen durch und macht geltend, dass das arabische Wort für Männer nicht nur im geschlechtlichen Sinne verstanden werden kann. Das Wort bedeutet auch: diejenigen, die auf eigenen Füße stehen, oder Fachleute, ob Männer oder Frauen. MONA NAGGAR

Buchtipps

Mit der Rezeption des Islam aus Frauensicht setzt sich auch die marokkanische Soziologin Fatima Menissi auseinander. In erster Linie dargelegt in ihrem Buch „Der politische Islam“, Herder-Taschenbuch, Freiburg 1992, 19,80 DM.

Hartmut Bobzin: „Mohammed“. Beck Verlag, Wissen, München 2000, 127 Seiten, 14,80 DM. Bobzin beschreibt in diesem Buch, was wir vom Leben Mohammeds wissen und welche unterschiedlichen Auffassungen es über den arabischen Propheten gibt.

Heinz Halm: „Der Islam“. Beck Verlag, Wissen, München 2000, 100 Seiten, 14,80 DM. Der Band schildert die grundlegenden historischen Entwicklungen des Islam, erklärt die zentralen Begriffe der Lehre und zeigt, wie der Islam der Gegenwart im Alltag funktioniert.

J. W. Frembgen: „Reise zu Gott, Sufis und Derwische im Islam“. Beck Verlag, München 2000, 219 Seiten, 24,80 DM. Frembgen beschreibt die religiöse und politische Bedeutung der Derwischbruderschaften im Islam.

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