: Tirili, täterä, tanderadei – ziküth!
„Teufelsbrück“: Brigitte Kronauer erzählt von Liebe, Tod und Teufel (und also auch vom Geld) und zieht dabei gnadenlos die Spießer, Glücksritter und Konsumhengste durch den Gesellschafts-Kakao. Die Ich-Erzählerin befindet sich dabei dauerhaft in einem Zustand hysterisierter Übertemperaturvon FRAUKE MEYER-GOSAU
„Zuküth, ziküth, ziküth“ – was ist denn das? Des Todesvögeleins traurige Weise? Im Elbe-Einkaufs-Zentrum (EEZ)? An einem dumpf-trüben Abend im Januar? Quatsch! „Wie blöd, wie blöd“, so musste es doch richtig heißen! Brigitte Kronauer rückt den Hörfehler schnell zurecht, denn grade hat die Ich-Erzählerin ihres Romans „Teufelsbrück“ im Hamburger EEZ einen folgenschweren Zusammenstoß erlitten. Eben noch musterte sie entrückt in einem Schaufenster einen dreifarbigen Herrenslip – „das lebensecht gewölbte Mittelstück grün, die gelben Seitenteile durch rote Abnäher fröhlich separiert“ –, schon findet sie sich auf dem Boden wieder: „in den Armen eines eleganten Verbrechers“. Leo Ribbat heißt dieses Bild von einem Mann, wie sich alsbald herausstellen wird. Was sich aber sofort herausstellt: Er gehört zu einer weiblichen Erscheinung von höchster Eleganz und unschätzbarem Alter, einer Person mit grellrot geschminktem Fischmaul und rätselhaft froschartigem Dunkelaug', deren Füße feinstes Schuhwerk ziert. „Wie blöd, wie blöd!“ So hat Zara Johanna Zoern den Zusammenstoß ihres Latin Lovers mit der Schmuckdesignerin Maria Fraulob, geb. Schoven, kommentiert. Die ihrerseits, vom Zusammenstoß noch ganz benommen und auf den Knien sowieso vor Leo Ribbat, nichts anderes zu sagen weiß als: „Schöne Schuhe!“
Slapsticks sind seit jeher eine Spezialität von Brigitte Kronauer. Hier, am Anfang von „Teufelsbrück“, zelebriert sie ihn geradezu Billy-Wilder-haft. Leider aber ahnt man auch schon, dass die folgende Einladung in Zara Zoerns Haus im Alten Land, zu erreichen nicht von ungefähr über die Fährstation Teufelsbrück, für Maria Fraulob letztlich grausame Folgen haben wird – das Vögelein, das ihr im Einkaufszentrum sein „Leide, Leide, Leide“ gesungen hat, wird das schon nicht ohne Grund getan haben. Es gibt nämlich nichts, nein, absolut gar nichts, was sich in Brigitte Kronauers Romanen ohne Grund ereignet, auch seitenlange scheinbare Abschweifungen werden ihren Sinn schließlich schon enthüllen – Brigitte Kronauer setzt darauf, dass ihre LeserInnen das wissen und mit gespannter Geduld abwarten werden, bis es so weit ist. Da dürfen es dann also auch schon mal fünfhundertviereinhalb Seiten sein. Oder?
„Klingkling, schnipsschnips, tirili, litzirü!“ Ja, warum nicht? Oder auch, kurz und gut zusammengereimt: „Es quietscht und tiriliert in meinem Hirn, pfeift und tutet hinter der Stirn.“ Das kann man wohl sagen! Und man wischt sich dieselbe, wenn dergleichen nach vielhunderttausend Erzählschleifen gegen Ende ihrer Geschichte aus Maria Fraulob, der „wild gewordenen Schmuckkleinbürgerin“, in Form kleiner Sinngebungstriller herauszwitschert. Denn hat sie nicht Furchtbares erlitten, Schauriges überstanden, Herzallerliebstes verloren? „Schwirrschwirr“, das hat sie: „Witz wünscht. Licht kühlt. Sinn zürnt. Sünd winkt.“ Denn so geht das zu, in Hamburg und im Alten Land, am Neckar und im Schweizer Hochgebirg, und, „tideli und tanderadei“, gut kann das natürlich auch für Frau Fraulob nicht ausgehen. „Viel Blut, viel Blüt!“ Denn Blüten, nach deren Bild sie ihre fitzelklitzekleinen Schmuckstückchen ziseliert, sind Marias Arbeitsgegenstand. Und durch allzu viel Liebe wird hier noch viel Blut fließen. Nicht zuletzt, bedauerlicherweise, das von Leo Ribbat, der das gewissermaßen natürliche Zentrum eines allgemeinen Damenwahns bildet. Nun muss man nicht fürchten, das ganze Buch sei etwa in einer Art Vogelsprache und Märchensingsang geschrieben. Die setzen sich, wie gesagt, „tschilp und zirp“, erst gegen Ende hin richtig durch, wenn sich auch Maria Fraulobs ziemlich triste Lebensbahn ins Tödliche wendet. Worauf man sich aber von Anfang an gefasst machen muss, ist eine Erzählweise, die vor allem mit dem Beruf der Ich-Erzählerin zu tun hat: Das Ornament, die kunstvolle, immer auch kunstbedachte Ausschmückung, die extreme Kleinteiligkeit der Beschreibung sind ihre Sache. Und das macht die Lektüre mit der Zeit doch etwas anstrengend – man mag ja auch nicht alleweil nur Petit Fours futtern, irgendwann bekommt man einen brutalen Heißhunger auf Bratwurst mit Kartoffelsalat. Aber daraus wird hier nichts. Denn einerseits befindet sich Maria Fraulob dauerhaft in einem Zustand hysterisierter Übertemperatur – was nicht verwunderlich ist, denn Mann und Kind sind vor einigen Jahren bei einem Autounfall umgekommen, und nun fällt sie in Gestalt von Leo Ribbat plötzlich die Liebe an. Und einen Wolf Specht gibt es auch noch, der wiederum sie mit Liebe verfolgt, aber außerdem mit den unbändigen Tiraden seiner Massen- und Konsumfeindlichkeit nebst absonderlichsten Kurzgedichten. Den nervenden Specht will sie nicht, und Leo, schöngestaltig wie nur einer aus dem Herrenjournal, bekommt sie nicht. Oder doch nur kurz, und auch das wohl nur, weil Zara selbst schon auf der Suche nach noch frischerem Fleisch ist. Den Damen flirren die Sinne!
Vor allem aber wird's hier nichts mit der, zugegeben, stinkordinären Bratwurst, weil hinter der Ich-Erzählerin Fraulob Brigitte Kronauer selbst mit einem heftigen Kunst-Ehrgeiz am Werk ist. Ist es schon ein bisschen kokett, die vielhundert kleinen Erzähl-Pretiosen ausgerechnet einer Schmuckherstellerin zuzuschreiben, so wird man bald auch des dauernden Augenzwinkerns müde, wenn Brigitte Kronauer quietschvergnügt mit ihrem literarischen Schatzkästlein hantiert. Gleich sieht man germanistische Dissertationen sonder Zahl aus dem Roman hervorwachsen, unter Wiedererkennungsschweiß und -beglückung „Brigitte Kronauers Intertextualität“ gewidmet. Und gleich kommt einen umso mehr das Verlangen nach einer Stulle an. Dabei kann doch kaum jemand so meisterlich von Liebe und Verwirrung, von Kopf-Gelüsten und Gesellschafts-Trivialität, von Tieren, Pflanzen, Kunst und Menschen erzählen! Und meisterlich, anders kann man's nicht nennen, ist ja auch diese Geschichte erzählt, gnadenlos zieht sie die Spießer, Glücksritter, Konsumhengste durch den Gesellschafts-Kakao. Ja, wirklich, es ist eine tolle Geschichte: Zara, die Schuh- und Vogelliebhaberin, besitzt Leo, der ihr als Liebhaber und Exekutor undurchsichtiger Geschäfte dient. Maria und die ältliche, dickliche Sophie lieben Leo, werden seiner kurz habhaft, während sie Zara verehren und stumm bekämpfen. Specht, der sich mit Sophie anfreundet, kommt fast zu Tode an seiner Liebe zu Maria. Und diese selbst, nachdem sie, kunst- und empfindungshitzig, der hinter einer Sonnenbrille verborgenen Zara neun Nächte lang die ganze Geschichte erzählt hat, unterliegt ihr schließlich als letztes Opfer. Wie kommt es nur, dass wir da rufen möchten: Jawohl, hinaus mit ihr in die glitzernde Helligkeit des Schnees, ab in den Kältetod! Möge sie in Literatur-Schönheit vereisen!
Ach, die wild gewordene Wortschmuckkunst war es wohl vor allem, ein überdrehender Text-Narzissmus, der die Figuren und ihre Fährnisse so bunt hergerichtet und dabei doch so leer gelassen hat. Was an dieser traurigen Geschichte schließlich das Traurigste ist. Tschilp!
Brigitte Kronauer: „Teufelsbrück“. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2000. 505 Seiten, 78 DM
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