: „Deutschland ist korrupt“
Schweizer Ermittler haben Beweise dafür, dass beim Verkauf der ostdeutschen Leuna-Werke Schmiergelder gezahlt wurden. Deutsche Justiz soll endlich handeln
GENF/BERLIN dpa ■ Was von deutschen Staatsanwälten immer noch als verwegene Spekulation gehandelt wird, ist für die Schweizer Justiz bereits sicher: Beim Verkauf der ostdeutschen Leuna-Raffinerie an den französischen Konzern Elf Aquitaine 1992 wurde gelogen, bestochen und illegal abkassiert. „Auch wenn viele Deutsche das nicht wahrhaben wollen – Deutschland ist ein korruptes Land“, sagte jetzt ein Genfer Justizvertreter, der Einblick in das laufende Ermittlungsverfahren hat.
Auch für den ehemaligen EU-Kommissar Karel van Miert ist „ganz klar“, dass bei dem Leuna-Verkauf Schmiergelder gezahlt worden sind. In einem Zeitungsinterview sagte van Miert am Wochenende, es habe sich um „erhebliche Beträge“ gehandelt. „An wen, ist eine andere Frage. Das kommt wohl nie heraus.“
Die Schweizer Ermittler gehen davon aus, dass deutsche Politiker geschmiert wurden, damit sie für den französischen Energiekonzern mehr Subventionen bewilligten als eigentlich erlaubt. Untersuchungsrichter Paul Perraudin hat 256 Millionen französische Franc (76,4 Millionen Mark) gefunden, die der deutsche Lobbyist Dieter Holzer und der inzwischen verschwundene französische Ex-Spion Pierre Lethier angeblich als „Beraterhonorar“ von der Genfer Elf-Filiale bekamen. Perraudin erstellte ein 16 DIN-A 4-Seiten großes Schaubild, um das Labyrinth dutzender Konten darzustellen, über die das Geld zwischen Elf und verschiedenen Mittelsmännern nach Deutschland floss. Die Genfer Ermittler wissen offenbar genau, bei welchen deutschen Empfängern Geld gelandet ist. Genannt werden Ex-Staatssekretärin Agnes Hürland-Büning (CDU), der verschwundene Ex-Staatssekretär Holger Pfahls „sowie andere Parteigrößen und Politiker“.
Perraudin schickte sein Schaubild im September an die Augsburger Staatsanwaltschaft. Er gibt die Hoffnung nicht auf, dass nun auch in Deutschland endlich weitergebohrt wird. Das Verschwinden von Leuna-Akten aus dem Kanzleramt betrachtet er als „weiteres Indiz“. Mit dem mehrfach geäußerten Hinweis, all das reiche nicht, um eigene Ermittlungen aufzunehmen, können sich die deutschen Behörden nach Ansicht der Genfer nicht aus der Affäre ziehen.
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