: Postenproporz und Kuddelmuddel lähmt die Bezirke
Die Bezirksreform hat eine Chance verpasst: Das „politische Bezirksamt“ bleibt eine Illusion, und die Parteien liegen im ständigen Clinch miteinander
Die Bezirksfusion ist noch gar nicht vollzogen, da herrscht im Ratssaal schon dicke Luft. Anstandslos wählten die Schöneberger CDU-Bezirksverordneten ihren Bürgermeister und drei Stadträte ihrer Partei, auch den SPD-Mann ließen sie passieren. Doch als die Grüne-Politikerin und ehemalige Bürgermeisterin Elisabeth Ziemer an der Reihe ist, kommt es im Fusionsbezirk Tempelhof-Schöneberg zum Eklat: Die Union verweigert der Stadträtin in spe die Stimme – vorerst. Denn irgendwann, das wissen auch die Christdemokraten, werden sie Ziemer wählen müssen. Die Grünen dürfen den Posten nach Recht und Verfassung beanspruchen.
Auch in anderen Bezirken liegen die Parteien über die Besetzung der Stadtratsposten im Clinch. Sind alle Jobs erst einmal verteilt, ist das Kuddelmuddel gewiss nicht am Ende: Dann machen sich die Lokalpolitiker mit Anträgen auf Abwahl gegenseitig das Leben schwer – das haben sie in der letzten Wahlperiode hinreichend geübt.
Der Grund für das Kuddelmuddel ist ein Passus der Berliner Verfassung. Dort ist festgeschrieben, dass die Stadtratsposten nach Parteiproporz vergeben werden. Trotzdem muss eine Mehrheit der Bezirksverordneten die Kandidaten wählen. Was die Lokalpolitiker in der Theorie zu einem konstruktiven Konsens zwingen soll, bewirkt in der Praxis das Gegenteil. Weil die Mehrheit Kandidaten wählen muss, die sie eigentlich gar nicht will, liegen die Parteien im Dauerstreit miteinander. Das Proporzprinzip liegt wie Mehltau auf den Bezirksämtern.
Als vor zweieinhalb Jahren über die Bezirksreform abgestimmt wurde, hätte eine Parlamentsmehrheit aus SPD, PDS und Grünen die Regelung gerne abgeschafft – und das „politische Bezirksamt“ eingeführt. Im Grunde entspräche dies dem demokratischen Mehrheitsprinzip.
Doch die CDU legte sich quer. Für Fraktionschef Klaus Landowsky war es schon schwer genug, seine Abgeordneten überhaupt für die Bezirksreform zu gewinnen – so sehr standen die Abgeordneten unter dem Druck ihrer Bezirksverbände, die um Ämter und Pfründen fürchteten.
In der Praxis ist das „politische Bezirksamt“ allerdings zum Teil längst Realität: Stellte die stärkste Partei früher automatisch den Bezirksbürgermeister, so haben sich diesmal in vielen Bezirken Koalitionen gebildet. Diese „Zählgemeinschaften“ waren ursprünglich eingeführt wurden, um PDS-Bürgermeister in den Ostbezirken zu verhindern. Ironie des Schicksals: Just einer solchen „Zählgemeinschaft“ mit SPD und Grünen hat es die PDS nun zu verdanken, dass sie erstamals die Bürgermeisterin eines Ost-West-Bezirks stellen darf.
Die Grünen halten denn auch an der Forderung fest, diese zarten Pflänzchen endlich zu einem kräftigen Baum namens „politisches Bezirksamt“ wachsen zu lassen. „Mehr Demokratie in den Bezirken“ lautet die Parole, die die grüne Vorstandssprecherin Regina Michalik ausgibt. Auch wenn das heißt, dass die Grünen im CDU-dominierten Tempelhof-Schöneberg demnächst keinen Stadtratsposten mehr bekommen. RALPH BOLLMANN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen