: Die Erotik einer Verwaltungsreform
Im Osten herrscht die PDS, im Westen regiert die CDU. Und Blockflöten sitzen in einer Fraktion mit strammen Antikommunisten. Die Bezirksämter in den Fusionsbezirken sind mit der heutigen Wahl in Charlottenburg-Wilmersdorf komplett
von RALPH BOLLMANN
Am 26. März 1998 war es endlich geschafft. Kein Jubel, aber immerhin Erleichterung in den Reihen der großen Koalition aus CDU und SPD – sie hatten geschafft, was weder Nazis noch Kommunisten, weder amerikanische noch sowjetische Besatzer gewagt hatten: Sie zogen die Grenzen der Berliner Bezirke, an denen es seit der Gründung Groß-Berlins im Jahr 1920 nur geringfügige Veränderungen gegeben hatte, völlig neu. Von 23 Verwaltungseinheiten sollten nur noch 12 übrig bleiben.
Monatelang hatten die Koalitionäre um die Reform gefeilscht, Bezirksgrenzen verschoben, potenzielle Mehrheit durchgerechnet. Und dann das: In der entscheidenden Debatte sagte CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky, mit einem untrüglichen Gespür für die Leidenschaften des gemeinen Berliners ausgestattet, die Bezirksreform sei „kein erotisches Thema“. Zumindest hinter vorgehaltener Hand stimmte damals jeder zu.
Inzwischen hat der CDU-Stratege seine Meinung geändert. Kaum sind die neun Bürgermeister der Fusionsbezirke gewählt – heute abend wird die Riege in Charlottenburg-Wilmersdorf komplettiert –, schon sieht Landowsky das Land auf dem „Weg in eine andere Republik“.
In der Tat hat die Reform das politische Gesicht der Hauptstadt gründlich verändert – und die CDU ist dabei nur vordergründig die Gewinnerin. Darüber, dass die Partei künftig in 7 von 12 Bezirken den Bürgermeister stellt, kann sie sich nicht wirklich freuen. Denn im westöstlichen Fusionsbezirk Kreuzberg-Friedrichshain ist zum ersten Mal eine Konstellation Wirklichkeit geworden, die den Christdemokraten auch auf Landesebene gefährlich werden kann: Zum ersten Mal regiert eine Bürgermeisterin auf PDS-Ticket in einem Westbezirk, gewählt von SPD und Grünen.
Landowsky weiß genau: Lässt die SPD ihre Hemmungen gegenüber der PDS fallen, verliert die CDU die Mehrheitsfähigkeit. Aus der Gefangenschaft der SPD könnten sich die Christdemokraten nur mit Hilfe der Grünen befreien – auch dies ein Modell, das mit der Wahl des CDU-Mannes Joachim Zeller zum Chef des neuen Regierungsbezirks jetzt erstmals erprobt wurde.
Ansonsten aber ist die Union im Osten aus dem Spiel – und damit auf Landesebene ohne Chance für die absolute Mehrheit. In der einstigen Hauptstadt der DDR bestimmt die PDS, wer Bürgermeister wird – und sei es auch nur indirekt wie in Treptow-Köpenick, wo sich alle übrigen Parteien noch einmal zum antikommunistischen Bündnis zusammengerauft haben. Im Nordbezirk Prenzlauer Berg-Pankow-Weißensee überließen die Postsozialisten den Bürgermeisterposten gnädig der Splitterpartei SPD – ein Gegengeschäft für das rot-rote Bündnis in Kreuzberg-Friedrichshain. In den beiden Plattenbaubezirken herrschen die Postsozialisten unangefochten, in Lichtenberg-Hohenschönhausen bekam PDS-Bürgermeister Wolfram Friedersdorff gar Stimmen von der CDU.
Paradoxerweise liegt die Bedeutung der Bezirksreform gerade darin, dass sie für das Wahlvolk „nicht erotisch“ ist. Für den Endverbraucher ist Behörde gleich Behörde. Ob er mit dem landeseigenen Finanzamt oder dem bezirkseigenen Wohnungsamt im Clinch liegt, ist ihm einerlei. Entsprechend gering ist der Bekanntheitsgrad der Bezirkspolitiker. Gerade das aber erleichtert, fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit, das Anbahnen von Politehen, die bislang als sittenwidrig galten. Wird eine solche Konstellation eines Tages auf Landesebene aktuell, können die Politiker achselzuckend darauf verweisen, dass in den Bezirken niemand daran Anstoß nahm.
Zehn Jahre nach dem Fall der Mauer, ein Jahr nach dem Regierungsumzug fällt die Reform in eine Zeit, in der die Strukturen aus der Epoche der Teilung als überlebt erscheinen. Das betrifft nicht nur das Verhältnis zwischen den politischen Lagern; auch innerhalb der Parteien verschieben sich die Gewichte. Da muss sich die stramm antikommunistische Kreuzberger CDU mit früheren Blockflöten aus Friedrichshain herumschlagen. Da findet sich SPD-Rebell Hans Nisblé, bislang unumschränkter Herrscher des roten Wedding, auf einmal als subalterner Gesundheitsstadtrat wieder.
Nicht umsonst ist die Oberbaumbrücke, an der Kreuzberger Westalgiker einst gegen die Öffnung nach Osten protestierten, zum Symbol für die Reform geworden. Dort darf die parteilose Sexualpsychologin Bärbel Grygier jetzt im Auftrag der PDS erkunden, was sie der Bezirksfusion an Erotik entlocken kann.
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