piwik no script img

Die Angst ist das Drama

Das Feindbild bis zur Unkenntlichkeit zertanzen: Im jüngsten Stück des israelischen Theaterzentrums Akko spielen jüdische Siedler mit arabischen Schauspielern und finden auf der Bühne zum Dialog

„Ein Jude und ein Araber in einem Raum. Beide haben Angst. Das ist schon das ganze Drama“

von ESTHER SLEVOGT

Moni Yosef, künstlerischer Leiter des Theaterzentrums Akko, trägt Basecap. Das wäre nicht der Rede wert, läge Akko nicht in Israel. Unter einer unauffälligen Kopfbedeckung wird im Ausland oft die Kipa versteckt, wenn man nicht als Jude identifiziert werden will. Die Kipa, die religiöse Männer tragen, seit Gott in der Wüste Moses wissen ließ, man solle ihm nicht unbedeckten Hauptes unter die Augen treten. Und weil es über die Reichweite von Gottes Wirkungskreis unterschiedliche Auffassungen gibt, tragen besonders Religiöse die rituelle Kopfbedeckung vorsichtshalber überall. Und Moni Yosef? Das Theaterzentrum Akko hat nicht den Ruf, mit den Religiösen zu sympathisieren.

Seit seiner Gründung 1984 hat man es eher dem linken Spektrum zugeordnet. Spektakulär war David Maayans Inszenierung „Arbeit macht frei“. Da wurde der Missbrauch des Holocaust-Gedenkens für das, was man als „Shoa-Business“ belästert, verhandelt. Besonders irritierte damals der arabische Schauspieler Chaled Abu Ali als arabischer Führer durch ein Holocaust-Museum. Es gehört schon lange zu den unselbstverständlichen Selbstverständlichkeiten, dass arabische und jüdische Schauspieler im Ensemble zusammenarbeiten.

Zuerst entstand mit einer Gruppe arabischer junger Leute 1987 das Projekt „Der Diwan“. Teilweise fand es in den Häusern der arabischen Mitwirkenden statt. Für die jüdischen Zuschauer war es meistens das erste Mal, dass sie ein arabisches Haus betraten. „Da brauchte man gar keine Handlung zu erfinden“, sagt Moni Yosef. „Ein Jude und ein Araber in einem Raum. Beide haben Angst voreinander. Das ist schon das ganze Drama.“ Durch die Zusammenarbeit lernte man sich kennen und verstehen. Selbst die schwere Krise, die im Augenblick das Land erschüttert, hat die Atmosphäre zwischen jüdischen und arabischen Ensemblemitgliedern nicht beschädigt. „Wir reden miteinander, wir respektieren uns.“

Die Frage nach dem Sinn von Moni Yosefs Kopfbedeckung scheint sich also zu erübrigen. Es ist schließlich Herbst, und wir treffen uns auf der Terrasse eines Berliner Cafés. Dann frage ich doch. Zur Kipa könne er sich außerhalb der Synagoge nicht durchringen, das Basecap sei ein Kompromiss. Womit wir beim neuesten Stück der Truppe sind, das jetzt während der Berliner Festwochen zu sehen war.

Die Geschichte klingt, als wäre sie schon Teil jenes neuen Stücks. Am schönsten hat diese Geschichte aber dann doch das Stück selber erzählt, nur von den Wenigen bemerkt, die zufällig aus dem Fenster des Foyers der Werkstatt des Berliner Schiller Theaters blickten. Da erzählen zwei Männer mit ihren Körpern die Geschichte einer Begegnung. Der eine ist wie ein religiöser Jude gekleidet. Im weißen Gewand und mit Gebetsschal steht er da wie ein plumper Harlekin. Ein Balletttänzer tanzt in moderner schwarzer Kleidung mit stakkatohaften Bewegungen um ihn herum, als wolle er sagen: „Sieh, ich bin modern, ein Künstler. Und wer bist du?“ Er greift den Arm des Orthodoxen, beriecht ihn in einer animalischen Geste, und langsam fällt die Erstarrung von dem Mann ab. Irgendwann hat dann der Orthodoxe die Oberhand gewonnen. Der Tänzer ist nur noch eine Marionette unter seinen Händen. Auch der völlig säkularisierte Künstler, so lässt sich diese Szene lesen, hängt letztlich an den Fäden seiner Tradition.

Nach Akko kamen vor zwei Jahren acht Absolventen einer Yeshiva, einer jüdisch-orthodoxen Religionsakademie, und wollten aus den Erfahrungen ihres Lebens, das tief in den Riten der jüdischen Religion wurzelt, ein Theaterstück machen. Das Ergebnis heißt „Boyi Kala. Willkommen Braut“. Aber wer in dem kurzen Stück auf die Ankunft dieser Braut hoffte, der wartete vergebens. Denn die Braut ist nicht aus Fleisch und Blut. Sie ist die Verkörperung der messianischen Hoffnung, Schlusszeile eines berühmten Gebetes, das seit Jahrhunderten am Beginn des Sabbat gebetet wird. In „Boyi Kala“ konnte man nun sehr inbrünstig agierenden Laiendarstellern dabei zusehen, wie sie das mythische Kleid ihrer Religiosität mal fester um sich legen, dann wieder abzustreifen versuchen. Fast schien es, als wäre Anskis „Dybbuk“ nach Akko bzw. Berlin gekommen, ein Stück, das um 1900 in Russland entstand.

Resignation? Yosef mag diese Frage nicht beantworten. „Wir haben keine Antworten, nur Fragen“, sagt er. Tatsächlich kann man einer Gruppe von Menschen zusehen, die sonst hinter der Fratze eines fundamentalistischen Feindbildes unkenntlich bleiben. „Man muss auch das Extreme verstehen lernen“, findet Yosef. Erst dann beginnt der Dialog. Und man muss wissen, dass diese religiösen jungen Männer, die zum Teil in jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten leben, von Chaled Abu Ali, dem arabischen Schauspieler, unterrichtet wurden. Das war erst nicht leicht. Aber dann hat es doch funktioniert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen