piwik no script img

Der Nächste bitte nicht!

Ab heute streiken die Ärzte. Der Wettbewerb unter den Krankenkassen drückt die Honorare, so der Vorwurf. Manchen Patienten wird gar gedroht, nicht mehr so einfach einen Arzttermin zu bekommen

von DIRK HEMPEL

Wer diese Woche zum Arzt muss, braucht vor allem eins: Geduld. Nur jede fünfte Facharztpraxis wird überhaupt geöffnet sein. Die Männer und Frauen in Weiß streiken.

Die Ärzte sehen sich als Opfer des Kassenwettbewerbs und der Einsparungen im Gesundheitswesen. Der Grund: Immer mehr Patienten wechseln zu den günstigeren Betriebskrankenkassen (BBK). Allerdings entrichten diese pro Mitglied wesentlich geringere Pauschalen an die Kassenärzte. In Berlin zahlt beispielsweise die Barmer Ersatzkasse mehr als 1.000 Mark pro Jahr und Versichertem, die BKK Verkehrsbau-Union hingegen nicht einmal 400 Mark.

Der Run auf so genannte Billigkrankenkassen drückt damit die Honorare der Kassenärzte, denn Behandlungsanzahl oder -aufwand wird durch den Wechsel zu einer BKK nicht geringer.

Zielgruppe der streikenden Mediziner sind daher auch die Patienten: „Wir wollen darauf aufmerksam machen, was ein Wechsel bedeutet“, so der Sprecher des Aktionsrates der Berliner Kassenärzte, Anton Rouwen. Sollte die Entwicklung anhalten, müssten die Ärzte ihre Konsequenzen ziehen: Dann werde es für BKK-Versicherte eben schwieriger, einen Arzttermin zu bekommen.

Außerdem wollen die Berliner Ärzte ihr Medikamentenbudget aufgestockt wissen. Nach den Berechnungen der Kassenärztlichen Vereinigung ist das Geld, das die Ärzte für die Verschreibung von Medikamenten in diesem Jahr zur Verfügung haben, voraussichtlich am 7. November aufgebraucht.

Alles, was danach verschrieben wird, wird von der Kassenärztlichen Vereinigung mit den Honoraren verrechnet. Die Kosten, schätzungsweise zwischen 80 und 100 Millionen Mark, werden so auf alle Kassenärzte verteilt. Selbst schuld, meint die Landesvertretung der AOK: „Das Gebot der Stunde ist es, die Wirtschaftlichkeitsreserven vollends auszuschöpfen.“ Mehr als 60 Millionen Mark hätten die Kassenärzte im laufenden Jahr einsparen können, hätten sie stets die günstigsten Mittel verschrieben oder auf die Verordnung umstrittener Arzneimittel verzichtet. Bereits 1999 hatten die Fachärzte ihr Budget um 12,9 Prozent überschritten.

Bis Freitag soll der Ausstand der Mediziner dauern und auch andere Themen zur Sprache bringen. Am morgigen Dienstag soll beispielsweise ein Trauerzug „um die ambulante Medizin und die Auflösung des Solidaritätsprinzips“ stattfinden. Dennoch, so betont die Kassenärztliche Vereinigung, sei die ärztliche Versorgung sichergestellt. Kein Erkrankter müsse befürchten, dass ihm notwendige Hilfe nicht gewährt werde.

Für Gesundheitssenatorin Gabriele Schöttler (SPD) ist der Streik dennoch ein „Gesetzesbruch“. Sie erwarte, dass die Ärzte ihrer Pflicht nachkommen und die medizinische Versorgung sicherstellen.

Kritik an den Ärzten äußerte auch der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen, Bernd Köppl. Zwar habe er teilweise Verständnis für die Proteste der Ärzte. Die Budgetprobleme könne er aber nicht nachvollziehen. Studien hätten ergeben, so Köppl, dass die für Medikamente zur Verfügung stehenden Gelder ausreichend seien.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen