: „Wir werden euch alle töten“
In der Elfenbeinküste überschatten Pogrome gegen Oppositionelle den Amtsantritt der neuen Regierung. Am Stadtrand von Abidjan sind rund 55 Leichen gefunden worden – ein Überlebender macht die Militärs für das Massaker verantwortlich
von DOMINIC JOHNSON
Die Leichen sind nackt und blutverschmiert, wie ein Haufen Tierkadaver im Schlachthof stapeln sie sich in einem ekligen Knäuel. Es sind rund 55 Männer, allesamt mit Gewehrschüssen hingerichtet und in einer Grube am Rande des Stadtteils Youpougon im Slumgürtel der Metropole Abidjan in der Elfenbeinküste entsorgt. Es sind Opfer der Pogrome vom Donnerstag, als Anhänger des frisch gewählten Präsidenten Laurent Gbagbo von der „Ivoirischen Volksfront“ (FPI) auf die Jagd gegen Anhänger des Oppositionsführers Alassane Ouattara von der „Sammlung der Republikaner“ (RDR) gingen – 155 Tote forderte nach RDR-Angaben dieser Tag.
Noch am Wochenende standen sich in mehreren Stadtteilen Abidjans bewaffnete Gruppen beider Seiten an Straßensperren gegenüber: FPI-Milizen gegen Selbstschutzgruppen des Dioula-Volkes, größte Ethnie aus dem muslimischen Norden des Landes und Hauptstütze der RDR. Am Samstag wurden mindestens 30 weitere Mordopfer nahe Abidjan entdeckt.
„Sie schrien: Euch Dioulas werden wir alle töten, einen nach dem anderen“, berichtete am Wochenende gegenüber Journalisten ein Überlebender des Massakers von Youpougon: „Ich war bei Freunden, als die Militärs kamen. Sie zwangen alle Dioulas, den Hof zu verlassen; wir waren acht. Sie haben uns nackt ausgezogen und uns gezwungen, zur Polizeiwache von Abobo zu laufen. Auf dem Weg haben sie andere Leute mitgenommen, sie schlugen uns und bewarfen uns mit Steinen.“ In der Polizeiwache habe es bereits „viele Tote“ gegeben. „Sie zwangen uns, die Leichen auf einen Lastwagen zu laden. Dann mussten wir uns obendrauf setzen und sie brachten uns nach Youpougon, hinter das Gefängnis.“ Dann wurde geschossen. Es war 18 Uhr am Donnerstag. Der Überlebende Ibrahim konnte sich später blutüberströmt aus dem Leichenberg retten.
Die Dioulas, auch als Mandingos oder Malinke bekannt, sind über die halbe westafrikanische Sahelzone verstreut, weshalb es schwer ist, sie in der Elfenbeinküste oder auch in Nachbarländern nach Einheimischen und Ausländern zu trennen. Im aufgeheizten und fremdenfeindlichen politischen Klima der Elfenbeinküste von heute werden daher einfach alle Dioulas als Ausländer tituliert und verfolgt.
Die Studentenwohnheime in Youpougon waren 1992 Schauplatz eines für die Elfenbeinküste traumatischen Ereignisses, das das Misstrauen zwischen den führenden Politikern von heute geprägt hat: Eine Eliteeinheit der Armee unter Kommando eines gewissen Robert Guei drang auf Anweisung der damals von einem Premierminister namens Alassane Ouattara geführten Regierung in das Gelände ein, jagte Gbagbo-Anhänger und andere Oppositionelle und hinterließ zahlreiche Tote und Vergewaltigungsopfer.
Das neue Massaker von Youpougon geschah genau zu dem Zeitpunkt, als sich Laurent Gbagbo als neu gewählter Präsident der Elfenbeinküste vereidigen ließ. Es ist somit eine Art konstitutiver Akt des neuen Regimes, das ohnehin Probleme mit der internationalen Anerkennung hat. Die neue Regierung, in der die FPI 17 von 23 Ministerposten besetzt hat, weiß das. Sie hat eine Untersuchung „bis zum Äußersten“ angekündigt.
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