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Anleitung zum Gruseligsein

Halloween: Ein Datum setzt sich durch, weil es besser auszuhalten ist als Dunkelheit und vorweihnachtliches Klingkling  ■ Von Kaija Kutter

So, jetzt ist die Zeit umgestellt. Ab 17 Uhr wirds zappenduster. Zeit für Lichterketten und blinkende Weihnachtsmänner in den Fens-tern? Bloß nicht, mahnt eine antroposophisch gesinnte Bekannte. Sie würde lieber lernen, „die Dunkelheit auszuhalten“. Überhaupt sei es eine Unsitte, dass immer irgendetwas sein müsste: „Ostern, Nikolaus, Weihnachten. Es kann doch auch mal gar nichts sein.“

„Der Herbst, der Herbst, der Herbst ist da“, singen die Kinder im Kindergarten. Im vergangenen Jahr war dieser Song noch der Auftakt zum Laternelaufen. In diesem Jahr fällt der Lampionumzug aus. Dafür zählen die Kids, wieviel Mal schlafen noch, bis heute Halloween gefeiert wird. Die Jungs dürfen sich als Vampire verkleiden und Blutstropfen ans Kinn schminken. Die Mädchen wollen im Schlafanzug kommen. Zum Nachtisch gibts grüne Götterspeise mit roten Lakritz-würmern.

In der November-Ausgabe des Pumuckel-Heftes gibt es noch mehr Rezepte: „Roter Rattenfraß“, weiße Mäuse in Roter Grütze, zum Beispiel oder mit gehobelten Mandeln verzierte Würstchen, die in Ketchup liegen und aussehen wie blutende Finger. Klar, dass der Junior-Dracula da gerne zubeißt.

Nichts für zarte Seelen, aber der Gemütslage der Vorschulkinder scheinen Gruselparties eher zu entsprechen als vorweihnachtliches Klingeling. Pumuckel erklärt kurz die Geschichte des 2000 Jahre alten Festes, das seit 150 Jahren in den USA zelebriert wird. Die Sache ist aus kindlicher Sicht genial: Nur „Trick or Treat“ sagen, und schon bekommt man Süßes oder – von gesundheitsbewussten Erziehungsberechtigten – als Äquivalent ein Benjamin-Blümchen-Heft.

Auch der läuft Laterne mit einem grinsenden Kürbis. Ein Symbol, dass die Konsumenten seit einigen Tagen überall verfolgt. Kaufhäuser und Baumärkte bieten Lichterketten und Lampen in Gestalt der orangenen Frucht. Auch Süßigkeitenläden und -hersteller werben mit Produkten in dieser Signalfarbe. Und wer aufmerkam durch die Gemüseabteilungen der Supermärkte schlendert, entdeckt dort ein kompaktes Kürbismasken-Set mit Schnitzmesser, Rezepten und Anleitung zum Gruseligsein. Fertigen Grusel bietet auch H & M: für 39 Mark gibt's einen Anzug mit aufgedrucktem Skelett.

Man könnte dieser Tage wieder einmal zu Recht über die Amerikanisierung unserer Gesellschaft stöhnen. „Wir haben zu diesem Datum nichts gemacht“, versichert Manfred Strack vom US-Generalkosulat. Gleichwohl habe auch er das Gefühl, „dass Halloween hier immer mehr zum Thema wird“. Nicht jedoch für den Hamburger Einzelhandel. „Die Registrierung von Halloween hat jetzt erst eingesetzt“, bedauert Ulf Kalkmann vom Hamburger Einzelhandelsverband, „dabei hätten gerade wir es nötig, aus solchen Events etwas zu machen.“

Wo liegt das Problem? Die grinsenden Kürbisse, die böse Geister vertreiben sollen, könnten uns bald selbst auf den Geist gehen und in ein zwei Jahren brauchen all jene, die Dunkelheit nicht so gerne aushalten, ein neues Event mit Symbol. Ein leuchtender Truthahn zu Thanksgiving vielleicht?

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