: Lückenhafte Telekom
■ Telefongesellschaft machte den Betrug einfach: Bremerin vertelefonierte 21.000 Mark unter erfundenem Nachnamen / Erst beim dritten Mal flog die Masche auf
Drei Mal hat die Bremerin Annemarie K. Telefonanschlüsse unter falschem Namen beantragt. Kein Mal hat sie die Telefonrechnungen dafür bezahlt. So sind auf dem Schuldenkonto der arbeitslosen Ehefrau eines Schweißers in einem halben Jahr rund 21.000 Mark aufgelaufen. Die letzte Rechnung stammt vom März dieses Jahres. Gestern wurde die 24-jährige Bremerin deshalb wegen Betrugs in zwei Fällen verurteilt. Neben ihren Telefonschulden muss sie nun auch noch 90 Tagessätze zu je 15 Mark abstottern – oder abarbeiten.
Mit dieser Strafe ging der Richter des Bremer Amtsgerichts über die Forderung des Staatsanwaltes hinaus – obwohl er zuvor auch die Telekom nicht von Schuld freigesprochen hatte: „Der Angeklagten kann man keine kriminelle Energie bescheinigen. Die Telekom hat es ihr nicht gerade schwer gemacht.“
Das belegen auch die Fakten, die zuvor vor Gericht zur Sprache kamen. Obwohl jeder unbezahlte Anschluss dieselbe Adresse betraf und die Telekom auffällige Schuldner-Innen eigentlich in Computern vermerkt, geschah im Fall Annemarie K. ein halbes Jahr lang nichts.
In nur sechs Monaten wurden unter den drei Anschlüssen, die die junge Frau immer wieder bei der Telekom beantragt hatte, insgesamt 21.000 Mark vertelefoniert. Geld, von dem klar war, dass die ungelernte junge Frau es nie würde aufbringen können – obwohl sie ges-tern mehrfach beteuerte: „Ich wollte mir Arbeit suchen und die Schulden dann abbezahlen.“ Warum es dazu nicht kam, erklärte die junge Frau nicht. Wohl aber, wieso sie sich darauf verlegte – kaum war der eine Anschluss wegen ausstehender Telefonschulden gesperrt –unter wechselnden Nachnamen verschiedener Ex-Freunde immer neue Anschlüsse anzumelden. „Ich wollte vor meiner Familie nicht ohne Telefonanschluss dastehen. Da wäre ich mir doof vorgekommen“, erklärte die Angeklagte, die sich keinen Verteidiger mitgebracht hatte, dem Richter.
Auch wie es zu Telefonrechnungen von rund 3.500 Mark pro Monat kommen konnte, wusste die Angeklagte nicht. „Ich habe keine 0190er Nummern angerufen“, sagte sie. Wer für diesen Teil der Kos-ten, der immerhin 85 Prozent der Rechnungen ausmacht, verantwortlich sein könnte, sei ihr rätselhaft. Nur ihr Mann und dessen Familie hätten Zugang zum Telefon. Sie selbst habe zwar viel telefoniert – „manchmal auch ins Ausland und aus Langeweile“ – aber eben nie 0190er Nummern.
Schon wegen der teuren 0190er Nummern aber wäre Annemarie K. eigentlich ein Fall für eigenständige Telekom-Recherchen, sagte ein Telekom-Sachbearbeiter gestern als Zeuge vor Gericht. Warum die erste auffällige Rechnung über rund 3.800 Mark erst bemerkt wurde, als schon weitere 17.000 Mark unter Annemarie K.s Adresse aufgelaufen waren, konnte der Telekom-Mann nicht erklären. Er bestätigte: Erst als die Frau einen dritten Betrag – unter drittem Namen – schuldig blieb, bemerkte die Telekom die Zusammenhänge des Schuldenproblems. „Wie ist das möglich, dass jemand so einfach einen Telefonanschluss bekommt?“ wunderte sich gestern darüber der Richter. „Reicht da ein Telefonat aus? Muss man bei Ihnen keinen Personalausweis vorlegen?“ rügte er das „lückenhafte System“ der Telekom.
Silke Weber
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