BERTELSMANN KAUFT SICH INTERNET-UNTERNEHMEN NAPSTER
: Ende der E-Anarchy

Erst sturmreif klagen, dann einsteigen. Aus der Old Economy kennen wir die Methoden, mit denen sich der Medienriese Bertelsmann eine besonders schillernde Blüte der New Economy gesichert hat – die Internet-Musiktauschbörse Napster. Was mit freiem Datentausch übers Netz bei Nutzern für Euphorie und bei der etablierten Industrie für Panik gesorgt hat, ist nun domestiziert und ins Bertelsmann-Imperium eingemeindet worden. Künftig sollen die Musikdateien verschlüsselt werden, ein Abonnementsystem ist im Gespräch – was Bertelsmann als „neues Geschäftsmodell“ für Napster vorsieht, bedeutet die Kanalisierung eines bisher anarchischen Datenstroms, mithin das mögliche Ende eines revolutionären Vertriebsweges.

Das Dateiformat MP 3 hat den Ton von seinem Träger gelöst, Napster sorgte mit seiner „Peer-To-Peer“-Software (P 2 P) für die herrschaftsfreie Verbreitung des urheberrechtlich geschützen Materials. Kein Wunder, dass die mächtige amerikanische Tonträgerindustrie Napster in Grund und Boden klagt – ein Urteil wird in den nächsten Wochen erwartet. Kein Wunder auch, dass Branchenriesen wie Sony, Warner, EMI, Universal und die Bertelsmann Music Group (BMG) selbst fieberhaft am Aufbau einer virtuellen Verkaufsmöglichkeit ihrer Kataloge tüftelten. Bei 37 Millionen „angemeldeten Benutzern“ von www.napster.com ist es nun nur weitsichtig, wenn die „Bertelsmann eCommerce Group“ (BeCG) Know-how und Infrastruktur des Bösewichts nutzt, anstatt ihn zu zerschlagen: Erstmals bemüht sich einer Großen der Branche, im Internet wirklich Geld zu verdienen. Die entscheidende Frage ist nun, wie viele der 37 Millionen Benutzer dem „neuen Geschäftsmodell“ von Bertelsmann folgen und für Musik bezahlen werden. Zumal die Napster-Grundidee, sehr zum Leidwesen vieler auf Tantiemen angewiesenen Musiker, auf zahlreichen anderen, unkommerziellen Websites ein fideles Nachleben führt.

Die Bertelmänner haben zu einem günstigen Zeitpunkt die Katze im Sack gekauft. Jetzt müssen sie herausfinden, ob sie sich auch dressieren lässt.

ARNO FRANK