: Notrufe. Seit zwei Jahrzehnten
Eine Institution der Hamburger Frauenbewegung wird 20. Beratung nimmt zu, weil Frauen mutiger werden. Gewalt wird leider nicht weniger ■ Von Kathrin Dietzel und Kaija Kutter
Vieles ist gleichgeblieben, manches hat sich verbessert, so bilanziert Gudrun Ortmann vom „Notruf für vergewaltigte Frauen“ anlässlich des 20. Geburtstags dieser Hamburger Institution. Heute abend feiert das Team das runde Datum mit einer Ausstellungseröffnung im Museum der Arbeit.
Zwei Jahrzehnte ist es her, dass zehn Frauen aus dem Spektrum der autonomen Frauenbewegung sich zusammenfanden, um zunächst ehrenamtlich am Telefon für Opfer sexueller Männergewalt bereitzustehen. Damals kam es nicht selten vor, dass vergewaltigte Frauen bei Erstattung einer Anzeige auf der Polizeiwache derart erniedrigend behandelt wurden, dass sie zum zweiten Mal Opfer wurden.
Auch heute noch rät Gudrun Ortmann betroffenen Frauen, ihre Anzeige besser direkt beim Landeskriminalamt zu machen, wo eher gewährleistet sei, dass geschulte Beamtinnen die Befragung vornehmen und ihnen stundenlange und doppelte Verhöre erspart bleiben.
Besser organisiert als früher ist auch die Spurensuche. So gibt es seit Kurzem am Gerichtsmedizinischen Institut eine gesonderte „Untersuchungsstelle für Opfer von Gewalt“, an die sich auch Frauen wenden können, die unsicher sind, ob sie die Tat anzeigen.
Seit 1988 arbeitet Notruf nicht mehr ehrenamtlich, sondern beschäftigt mindestens drei fest angestelle Beraterinnen, die von der Jus-tizbehörde finanziert werden. Das Schicksal dieses hamburgweit einmaligen Projekts stand immer wieder infrage. 1996 wurde Notruf die vierte Stelle gestrichen, 1998 schrammte er nur aufgrund politischen Drucks knapp an einer achtprozentigen Etatkürzung vorbei. Zur Zeit ist die Finanzierung über eine Ziel- und Leistungsvereinbarung mit der Justizbehörde bis Ende 2001 gesichert.
Dennoch stehen Ortmann und ihre beiden Kolleginnen vor einem praktischen Dilemma: Die Zahl der Beratungen stieg 1998 und '99 um rund 50 Prozent an. „Wir würden gern noch mehr Öffentlichkeitsarbeit machen“, sagt die Diplompädagogin. Aber dann müsste sie riskieren, dass Frauen, die dringend eine Beratung brauchen – beispielsweise Suizidgefährdete – keinen Termin bekommen. Schon heute, so Ortmann, liefe manchmal während der Telefonsprechzeiten der Anrufbeantworter, „weil wir alle in Gesprächen sind“.
Auch die Begleitung zu Prozessen ist aus Personalnot nicht immer möglich. 1999 beobachteten die Notruf-Frauen zehn Gerichtsverfahren, die oft erst ein Jahr nach der Tat stattfanden: „Das ist für die Betroffenen viel zu lange“, sagt Ortmann. Ihre nüchterne Erkenntnis: Die 1997 in Kraft getretene Verschärfung des Strafrechts, die auch Vergewaltigung in der Ehe gleichermaßen unter Strafe stellt, zeigt in der Praxis kaum Folgen. In den beiden Prozessen, in denen Lebenspartner die Täter waren, erkannten die Richter nur auf „sexuelle Nötigung“. Die Männer kamen mit Bewährungsstrafen davon. In einem Fall wollte der Richter das Opfer nicht einmal hören. Dabei, so Ortmann, sei es für manche Frauen sehr wichtig, dem Mann vor Gericht zu sagen, was er getan hat.
Die stärkere Nachfrage nach Beratung, die im Notruf-Jahresbericht dokumentiert ist – 1541 telefonische und 375 persönliche Beratungen hat es 1999 gegeben –, führt Ortmann auch auf „mutigere Frauen“ zurück, die zum Teil durch Mund-Propaganda von der Notruf-Nummer erfahren. Wird eine Frau nach einer Vergewaltigung kompetent beraten – Notruf führt auch längerfristige therapeutische Gespräche durch –, so hat sie nach Einschätzung der Expertinnen eine „gute Chance, die Tat ohne schwere Traumatisierung zu überstehen“.
Um so bedauerlicher ist es, dass die Beratungskapazität begrenzt ist. Die Justizbehörde legte in diesem Jahr lediglich 8000 Mark Honorarmittel obendrauf. Auf Aufforderung der Politik suchte Notruf Sponsoren. Ohne Erfolg. Von 40 Firmen, die eine professionelle Agentur befragte, lehnten mit einer Ausnahme alle ab, weil sie den „Produktbezug“ vermissten.
Demgegenüber steht eine konstante Zahl von Vergewaltigungen. Rund 500 Taten wurden 1999 in Hamburg angezeigt – ebensoviele wie in Schleswig-Holstein, das über die zehnfache Beratungskapazität verfügt. Nicht alle Frauen, die zu Notruf kommen, erstatten Anzeige. Die Dunkelziffer der nichtangezeigten Taten liegt zwischen 2500 und 8000.
Zahlen, die in jüngster Zeit nicht dramatisch steigen, aber auch nicht sinken. Notruf will das Jubiläum deshalb zum Anlass nehmen, das Thema aus seiner Nische zu holen. Neben einer Veranstaltungsreihe, die sich unter anderem mit der Verherrlichung sexueller Gewalt in der Popmusik beschäftigt, startet Notruf in der nächsten Woche eine Plakatkampagne, bei der 2001 Männer mit ihrem Namen gegen sexuelle Gewalt einstehen.
Ausstellungeröffnung mit Justizsenatorin Peschel-Gutzeit, heute, Museum der Arbeit, Maurienstr. U/S-Barmbek, 18.30 Uhr
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