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Die Reichen, die Schönen und die Starken

Helmut Newton ist auch ohne Museum präsent. Mit der Schau zu seinem achtzigsten Geburtstag tritt in Berlin das Deutsche Centrum für Photographie zum ersten Mal öffentlich auf. Was außer Newton noch zum Konzept des geplanten Museums gehört, ist allerdings nach wie vor ein großes Geheimnis

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Die Journalisten sahen alle aus, als ob sie vom Shopping kämen. „Helmut Newton goes Autoerotic“ stand auf den großen grauen Papiertüten, mit denen sie Newtons Retrospektive in der Nationalgalerie Berlin verließen. Darin fand sich eine Serie des Meisters, in der er den New Beetle von Volkswagen als Objekt der Begierde inszeniert: Abgebildet im Katalog, als Leporello, als CD-ROM und Videokassette. Berthold Krüger, Marketingleiter von VW, verkündete gar die „Demokratisierung der Kunst“, weil einige der Motive über das Internet verfügbar sind. Zudem erhalten zwanzig Museen die Fotomappe „autoerotic“ als Geschenk.

Volkswagen in Berlin, BMW in Hamburg. In den Deichtorhallen eröffnet am 10. November die Ausstellung „AutoWerke“: BMW hat zwanzig bekannte Fotografen – u. a. Rineke Dijkstra, Boris Michailov, Wolfgang Tillmans – eingeladen, sich mit der Produktion, Image und Vermarktung ihrer Maschinen künstlerisch auseinander zu setzen.

Für die Berliner Nationalgalerie ist solche Nähe zur Werbung neu, und doch gibt sie wohl einen Vorgeschmack auf Kommendes. „Solche Kooperationen werden wir in Zukunft mehr brauchen“, sagte Manfred Heiting, Projektleiter des Deutschen Centrums für Photographie (DCP), das mit der Retrospektive zu Helmut Newtons achtzigstem Geburtstag zum ersten Mal in der Öffentlichkeit auftritt. Abends, auf der Geburtstagsfeier, wurde noch ein alter Kübelwagen Newtons zugunsten des DCP versteigert.

Allmählich entsteht der Eindruck, dass die Entscheidung, ob Berlin nun tatsächlich ein Museum für Fotografie erhält, vom Goodwill des Fotografen der Reichen und Schönen abhängt. Schon seit über zwei Jahren bemühen sich die Berliner Museumschefs um seine Archive. Denn die sollen neben den Beständen aus den eigenen Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Basis für den Aufbau der Sammlung bilden. Noch hat man sie nicht, noch dauern die Verhandlungen an, schon mehrmals drohte der Star mit Rückzug. Er versteht nicht, warum sich die Konzeption so lange hinzieht.

Seit im Dezember 1998 eine Expertenkommission mit der Recherche in den Museumsarchiven beauftragt wurde, hat man nicht mehr viel gehört. Nach wie vor sind die Fragen offen: Ob zum Beispiel wertvolle Aufnahmen des 19. Jahrhunderts, die als dokumentarische Arbeitsinstrumente zu den ethnologischen und kulturhistorischen Sammlungen gehören, jetzt einer Geschichte der Fotografie zugeschlagen werden? Was mit Konzepten der zeitgenössischen Kunst, die Fotografie mit einbezieht, geschieht? Ob weitere Privatsammlungen und Nachlässe akquiriert wurden? All das gehörte zum angekündigten Arbeitsvorhaben Heitings. Doch erst am 14. Dezember soll nach einer weiteren Beratung des Stiftungsrates das Gutachten zu den Museumsbeständen vorgestellt werden.

So besetzt Newton bisher allein die Bühne des DCP. Noch kein Fotograf vor ihm erhielt in der Nationalgalerie eine so umfassende Einzelausstellung. Dabei sind seine Bilder auch ohne Museum präsent – auf Strumpfhosen-Packungen, in Magazinen wie Stern und Vogue oder in der „Newton Bar“ am Gendarmenmarkt, die eine Wand mit seinen „Big Nudes“ getäfelt hat. Dieser Bildermacht hat die Retrospektive von 350 Bildern kaum etwas hinzuzufügen.

Anders als seine Sponsoren hütet sich Newton selbst, seine Arbeit „Kunst“ zu nennen. „Sie sehen schon, ich bin ein Fotograf alter Schule und habe mit Kunst nichts zu tun. (...) Intellektuelle Diskussionen über meine Arbeit werde ich nicht führen“, zitiert ihn Françoise Marquet im einzigen Essay des Kataloges. Dass aber auch der Katalog auf jede Diskussion verzichtet, ist schade. Es gibt keine Texte, die Newton in Beziehung brächten zur Entwicklung der Aktfotografie, zur Geschichte des Körpers in der Kunst der letzten vierzig Jahre, nicht einmal zum Stellenwert der Mode.

Die einzige These von Marquet ist, dass die aggressive Erotik in Newtons Inszenierungen eine visionäre „Vorwegnahme der selbstbestimmten Sexualität der Frauen“ beinhaltet. Damit hofft man wohl, die feministische Kritik zu deckeln, die Anfang der Neunzigerjahre vor allem von Alice Schwarzer vorgebracht wurde. Viel spannender aber wäre die Frage gewesen, in welchem Verhältnis Newtons hingebungsvolle Bewunderung von Stärke, Macht, Dominanz und Unbeugsamkeit zu den Körperideologien der Dreißigerjahre steht.

Nicht zuletzt veranlasst die Biografie des Fotografen, nach seiner Haltung zu den Posen der Sieger und Heroen der faschistischen Ästhetik zu fragen, an die seine „Big Nudes“ mit einer Mischung aus Ironie, Faszination und Naivität erinnern. 1920 in Berlin geboren, verließ er 1938 die Stadt wie auch die anderen Mitglieder seiner jüdischen Familie. Die Fotografin Yva, in deren Atelier er als Lehrling gearbeitet hatte, wurde 1941 nach Majdanek deportiert und ermordet. Diese Zeit bildet einen blinden Fleck in Newtons Biografie, über den er kaum reden mag. Sein Werk setzt erst 20 Jahre später, Ende der Fünfzigerjahre ein.

Kuratiert hat die Ausstellung June Newton, mit der er seit über fünfzig Jahren verheiratet ist. Sie hat ein Porträt von Heinz Berggruen, dem jüdischen Emigranten und Freund Newtons, zwischen die Gesichter von Anthony Hopkins und Kurt Waldheim, ehemals nationalsozialistischer Offizier, gehängt. Dieses Nebeneinander der Befreundeten und der Berüchtigten erscheint fast unbarmherzig in seiner Kommentarlosigkeit.

Neue Nationalgalerie Berlin, bis 7. Januar 2001, Katalog im Taschen Verlag 39,95 DM

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