: Schmutziger Streit um Florida
Während die Stimmen neu ausgezählt werden, nimmt der Protest gegen die vermuteten Unregelmäßigkeiten in Florida hysterische Züge an
von BERND PICKERT
Den ganzen Tag waren Floridas Wahlhelfer gestern damit beschäftigt, die rund sechs Millionen abgegebenen Stimmen in den 67 Bezirken des Bundesstaates neu auszuzählen. Am Vormittag Ortszeit waren die Ergebnisse aus 32 Bezirken da – danach hatte der republikanische Präsidentschaftskandidat George W. Bush 346 Stimmen mehr als bei der ersten Zählung, Vizepräsident Al Gore konnte 1.189 Stimmen zusätzlich verbuchen – das ergab einen aktuellen Vorsprung von 941 Stimmen für Bush. Die Auszählung sollte bis zum Abend beendet sein – aber niemand wusste zu sagen, ob dann tatsächlich auch die Entscheidung über die Vergabe der 25 Wahlstimmen Floridas und damit über den 43. Präsidenten der USA gefallen sein würde.
Denn unklar ist, wie viele Stimmen eigentlich genau zu zählen sind: Briefwahlstimmen können noch bis zum 17. November bei den Wahlbehörden eingehen; sie müssen lediglich spätestens am Wahltag, dem 7. November, abgeschickt worden sein. Insgesamt nutzen rund 500.000 WählerInnen die Möglichkeit der Briefwahl – und bei den letzten Präsidentschaftwahlen 1996 waren 2.300 Stimmen noch Tage nach Schließung der Wahllokale eingegangen – eine theoretisch wahlentscheidende Anzahl. Ob das an Bushs derzeitiger Führung tatsächlich etwas ändert, ist fraglich: Studien zufolge tendieren Armee-Offiziere, die den größten Teil der Briefwähler stellen, im Verhältnis acht zu eins zu den Republikanern.
Kein Wunder also, dass die Demokraten immer nervöser werden. Je mehr Zeit vergeht, desto tiefer führt die Konfusion zu nervösen Anschuldigungen und Vorwürfen. Bei einer vom US-Schwarzenführer und Clinton-Vertrauten Jesse Jackson am Mittwochabend geführten Demonstration in Miami witterten Anhänger der frustrierten Demokraten gar organisierten Betrug: „Es ist eine Verschwörung“, sagt etwa die 33-jährige Coena White der Zeitung USA Today, „wir sollten Neuwahlen ausrufen und noch mal von vorne anfangen.“
In Palm Beach County sind 19.120 Stimmen für ungültig erklärt worden, auf denen mehrere Namen markiert waren, und der Rechtsaußenkandidat der Reform Party, Pat Buchanan, erzielte in der traditionellen Demokratenhochburg ein einzigartig gutes Ergebnis (siehe Kasten). Drei WählerInnen haben jetzt ein Gerichtsverfahren mit dem Ziel angestrengt, die Wahl wiederholen zu lassen: Sie seien durch die verwirrenden Wahlzettel daran gehindert worden, Gore, dem Kandidaten ihrer Wahl, ihre Stimme zu geben. „Ich bin aus einem einzigen Grund zur Wahl gegangen, nämlich um Gore meine Stimme zu geben,“ sagt die 67-jährige Lilian Gaines, eine der KlägerInnen, „ich habe das zweite Feld gelocht, ich weiß es ganz genau.“
Und der demokratische Abgeordnete Robert Wexler ergänzt: „Ich habe es mit eigenen Augen gesehen: Hunderte von Leuten sind aus den Wahlkabinen gekommen und wurden hysterisch, als sie merkten, dass sie vermutlich für Buchanan gestimmt hatten.“ Warum die Menschen das draußen auf dem Parkplatz merkten und nicht drinnen in der Wahlkabine, sagte Wexler nicht.
Der Vorsitzende der den Demokraten nahe stehenden Schwarzenorganisation NAACP, Kweisi Mfume, sagte, viele schwarze Wähler hätten sich beschwert, sie seien an den Wahllokalen abgewiesen worden. Auch in anderen Bundesstaaten seien Schwarze an der Stimmabgabe gehindert worden. Jesse Jackson forderte auf der Demonstration, jede Stimme müsse gezählt werden.
Floridas Gouverneur Jeb Bush, der Bruder des Präsidentschaftskandidaten, erklärte hingegen, er könne keinerlei Anzeichen von Wahlbetrug entdecken; auch die erneute Auszählung und Überprüfung habe keinen Anlass zur Besorgnis geboten.
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