: Zivile Einmischung
■ Frau zeigt geforderte Courage – und dann ist es auch nicht recht
Laurette R. tat, wozu sich mo- mentan alle „Anständigen“ berufen fühlen: Sie mischte sich ein. Am Bahnhof Sternschanze beobachtete sie im Mai, wie vier Männer einen Schwarzafrikaner gegen eine Wand pressten und ihm den Arm verdrehten. Sie beschimpfte die Täter und verlangte, den Mann in Ruhe zu lassen. Gestern wurde sie vom Amtsgericht wegen Beleidigung, Körperverletzung und Widerstandes gegen die Staatsgewalt zu einer Geldstrafe in Höhe von 400 Mark verurteilt. Die vier Männer waren Zivilpolizis-ten bei einer Festnahme.
„Was für mich im ersten Augenblick wie ein rassistisch motivierter Überfall von vier Weißen auf einen Schwarzen aussah, war ein Polizeieinsatz“, sagte sie in dem Prozess. „Die Polizisten wären bei der Umsetzung der deutschen Leitkultur lieber alleine geblieben.“ Als die 21jährige aber versuchte, zu deren Gefangenen durchzukommen, wurde sie ferngehalten: „Das geht Sie nichts an.“ Sie blieb hartnäckig, worauf sie selbst festgenommen und in Handfesseln aufs Revier gefahren wurde.
Ein Polizist sagte vor Gericht, er habe sich gegenüber Laurette R. durch Zuruf als Polizeibeamter zu erkennen gegeben. Zudem will er seinen Dienstausweis vorgezeigt haben. Auf eine kleine Senatsanfrage hatte die Innenbehörde Mitte Juni geantwortet: „Während der Festnahme war es ihnen nicht möglich, sich auszuweisen, weil die Beamten mit der Durchführung der Festnahme beschäftigt waren.“
Der Richter legte Laurette R. vor allem zur Last, dass sie sich noch gegen ihre Festnahme gewehrt hatte, als bereits einige uniformierte Polizis-ten eingetroffen waren. Zuvor hätte sie die Festnahme des Schwarzafrikaners „intensiv beobachten und sich später an entsprechende Stellen wenden sollen“. Ihre Anwältin Ursula Ehrhardt hatte in ihrem Plädoyer erklärt: „Sie wollte sich einmischen. Das ist das, was man heute unter Zivilcourage versteht.“
Ehrhardt hat gegen die Polizisten Strafanzeige erstattet, weil sie den Schwarzafrikaner und Laurette R. körperlich misshandelt hätten. Während ihre Mandantin gestern bereits verurteilt wurde, wurden die beschuldigten Beamten noch nicht einmal vernommen.
Elke Spanner
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