: „Regierungsbeteiligung macht einige blind“
■ GAL-Abgeordneter Mahmut Erdem übt scharfe Kritik an Abschiebe-Einigung
Mit monatelanger Verspätung hat die Innenbehörde am Mittwoch der Bürgerschaft ihr Papier zur Abschiebepraxis vorgelegt. Die regierende GAL, die das Papier eingefordert hatte, nennt es „eine umfassende Beschreibung der einzelnen Verfahren und Vorgänge der Abschiebepraxis, verbunden mit politisch korrigierten Maßstäben“. Der oppositionelle Regenbogen nennt es „schändlich“ und hat in einem eigenen Antrag durchgreifende Änderungen verlangt. Als einziges Mitglied der GAL-Fraktion stimmte der Flüchtlingspolitiker Mahmut Erdem nicht mit der Koalition gegen den Regenbogen-Antrag.
taz hamburg : Sie haben sich als einziger aus der GAL beim Antrag des Regenbogens zur Abschiebepolitik enthalten. Warum können Sie die rot-grün abgesegnete Abschiebepraxis im Gegensatz zur Mehrheit der Fraktion nicht mittragen?
Mahmut Erdem: Als ich das Papier der Ausländerbehörde las, sagte mir meine tiefste innere Stimme: Das kann es nicht sein, das kann nicht unsere Politik sein. Ich war entsetzt und konnte nicht mit der Fraktion stimmen. Ich bin nun mal keiner, der einfach nur die Hand hebt, ich muss schon dahinter stehen.
Was stört Sie an der rot-grünen Abschiebepolitik?
Erst einmal die Praxis der Abschiebehaft. Man könnte im Rahmen des gesetzlichen Ermessens auch verfügen, dass sich die von der Abschiebung Bedrohten regelmäßig bei der Polizei melden, statt sie monatelang in Haft zu nehmen. Das ist Käfighaltung und sonst nichts. Dann die Sache mit den Ärzten bei der Ausländerbehörde: Da sind zwei Ärzte, die die unterschiedlichsten Krankheiten begutachten sollen. Wie sollen die, die noch nicht einmal eine hierfür spezifische Ausbildung haben, denn beurteilen, ob jemand posttraumatisiert ist oder nicht? Ich hab als Rechtsanwalt doch auch Bereiche, wo ich sagen muss: Da habe ich keine Ahnung, da gehen Sie lieber zu einem Kollegen, der sich auskennt. Und letztlich die morgendliche Abholungspraxis. Man hätte in dem Abschiebepapier klar festschreiben müssen: Keine Abschiebungen vor sieben Uhr.
Hat die GAL sich über den Tisch ziehen lassen oder freiwillig das Feld preisgegeben?
Die Regierungsbeteiligung macht einige blind, nicht alle. Auch ich bin für Mitregieren und Gestalten, aber nicht um jeden Preis. Hier ist eine Chance, Flüchtlingspolitik zu gestalten, vertan worden. Wir hätten Eckpfeiler setzen können. Für eine Koalitionspartei nach der nächsten Wahl wird auf keinen Fall mehr drin sein.
Macht es für Sie noch Sinn, in der GAL Flüchtlingspolitik zu machen?
Von Natur aus bin ich optimis-tisch, ich gebe nicht auf. Solange ich Kraft habe, werde ich auch noch kämpfen. Aber es ist inzwischen fast am schwersten, die eigenen Leute zu überzeugen. Wenn ich nicht richtig gute Freunde außerhalb des Parlamentes hätte, die mich ermuntern, hätte ich schon gesagt: Es ist Schluss.
Sind Flüchtlinge bei der GAL als politischer Vertretung noch gut aufgehoben?
Es gibt bei der GAL noch Leute, die mit vollem Herzen dabei sind, ich frage mich nur: Wie lange noch?
Werden die weniger?
Eindeutig ja. In der Fraktion komme ich mir inzwischen vor wie Don Quichotte, der gegen die Windmühlenflügel kämpft.
Haben Sie schon mal überlegt, die Partei zu verlassen?
Das ist mein Geheimnis.
Fragen: Peter Ahrens
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